Fingermanns Rache
mehrmaligem Nachfragen konnte sie einen einigermaßen vernünftigen Bericht abgeben. Zufrieden war sie dennoch nicht. Ihre Theorie zum Motiv für Mord und Entführung stand auf sehr wackeligen Füßen. Außerdem konnte sie Arndts Verwicklung nicht glaubhaft darstellen.
»Wenn ich mal zusammenfassen darf«, sagte Illsen. »Sie sind davon überzeugt, dass Wilbur Arndt zu den Verbrechern gehört, dass er vielleicht sogar deren Kopf ist. Und durch Ihren aberwitzigen Alleingang wollen Sie ihn überführen. Wenn ich Sie daran erinnern darf: Herr Arndt ist ein Obdachloser, und das nachweislich schon über Jahre hinweg. Woher soll er denn die Mittel haben? Und dann noch das Motiv: Manipulation von Menschen. Das ist doch ein Witz!« Die Kaffeetasse klirrte, als Illsen sie auf den Tisch stellte. »Aufgrund dieser höchst abenteuerlichen Annahmen, für die Sie keinerlei Beweise haben, gefährden Sie das Leben des Entführungsopfers. Sind Sie sich eigentlich bewusst, was Sie getan haben?«
»Ich habe mir das gründlich überlegt.« Marions Stimme vibrierte.
»Was sagen Sie dazu, Herr Mendel?«
Kai Mendel wand sich unter Illsens zornigem Blick. »Marions Argumente kann man nicht ganz von der Hand weisen. Ich finde, es ist kein schlechter Ansatz.«
»Kein schlechter Ansatz?« Illsen wurde lauter. »Sie haben hier Tatsachen geschaffen, und zwar über meinen Kopf hinweg. Das ist nicht zu glauben! Herr Mendel, ich will, dass Sie von diesem Gespräch ein Protokoll anfertigen. Ich muss mich hier absichern.«
»Natürlich, Herr Illsen.« Fahrig kramte Mendel einen Block hervor und begann umgehend zu schreiben. Den Blickkontakt zu Marion mied er.
»Also, Frau Tesic, da Sie nun mal gerne Chefin spielen, können Sie mir bestimmt sagen, wie es weitergehen soll.«
Marion hatte ihre Selbstsicherheit eingebüßt, hoffte aber, dass Illsen es nicht merkte. Betont ruhig sagte sie: »Entführung und Mord hängen eindeutig zusammen, dies beweist Lokis vorletzte E-Mail, in der er den Mord an Bakker vorwegnimmt. Wenn wir einen Fall lösen oder zumindest einen Verdächtigen ausmachen, kommen wir auch der Lösung des anderen Falls näher. Konkrete Hinweise besitzen wir durch das Video, das Bakkers Tod zeigt. Es wurden Bilder von der beteiligten Frau und der Tätowierung auf ihrem Rücken angefertigt. Das Gesicht der Frau sieht man leider nicht, dennoch haben die Bilder Aussagekraft. Wir sollten uns in der SM -Szene umsehen, vielleicht kennt man sie dort. Auch sollten wir nach Bakker fragen. Es ist davon auszugehen, dass er nicht zum ersten Mal Dienste dieser Art in Anspruch genommen hat. Des Weiteren sollten wir alle Tattooläden abklappern. Vielleicht ist ja in einem der hiesigen der Frau das Tattoo gestochen worden.«
»Gut«, stimmte Illsen zu. »Personell zwar ziemlich aufwendig, aber das bekomme ich hin. Und was schlagen Sie im Entführungsfall vor?«
»Mendel und ich sind gestern Nacht noch einmal alle E-Mails des Erpressers durchgegangen. In Bezug auf seinen Aufenthaltsort haben wir folgende Hinweise.« Marion zog eine Notiz hervor. »Heizungsrohre, Labyrinth, Kontrollraum, Schornsteine und die Koordinaten-Angaben. Wenn wir noch die Geräusche, die auf den gesprochenen Nachrichten zu hören sind, hinzunehmen, dann würde sich ein Kraftwerk oder eine Bunkeranlage anbieten.«
»Meines Wissens haben Sie das schon bei einer Ihrer ersten Besprechungen festgestellt.«
»Richtig. Dort hatten wir aber noch nicht die Eingrenzung auf Treptow-Köpenick. Der Streifendienst in diesem Bezirk ist schon instruiert worden, ein besonderes Auge auf derlei Objekte zu richten. Mein Vorschlag wäre, die Streifen zu verstärken.«
Illsen nickte, und Mendel wandte ein: »Vergiss Müller nicht.«
»Ja, danke, Kai. Der Name Müller tauchte in der letzten E-Mail auf. Wenn man den Namen als Berufsbezeichnung sieht, kann man auf ein Gebäude schließen. Vielleicht ist hiermit eine alte Mühle oder eine industrielle Bäckerei gemeint.«
»Klingt etwas weit hergeholt, dennoch werden wir das als Möglichkeit mit einbeziehen.«
»Bleiben noch die Hinweise: Geiselübergabe, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, Showdown und Dienstag. Nach all unseren Erfahrungen mit Loki können wir also am Dienstag mit einer Zuspitzung rechnen. Deshalb empfiehlt sich eine Vorwarnung an die Sondereinsatzkräfte.«
Illsen lehnte sich zurück. Sein Ärger schien verraucht.
»Das ist gut, Frau Tesic. Die Maßnahmen machen alle Sinn. Umso weniger verstehe ich Ihr gestriges
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