Fingermanns Rache
seine Pflicht tun.«
»Sie glauben, Loki wird dem Entführungsopfer einen Finger amputieren?«, fragte Illsen.
»Ja«, presste Marion hervor.
Illsen lehnte sich zurück und ließ seinen Blick über die Fensterfront gleiten. Dann nahm er das Telefon und rief bei der Pforte an. »Hallo, Herr Riedel. Wenn heute ein Paket für Frau Tesic, Herrn Mendel oder mich abgegeben wird, dann halten Sie den Überbringer fest und melden sich sofort bei mir. Wie Sie den Boten festhalten, ist mir egal. Lassen Sie sich einfach etwas einfallen. Wir sind ja gleich unten.«
Nachdem Illsen aufgelegt hatte, sagte er: »Wenn es schon zum Schlimmsten kommt, sollten wir einen Vorteil daraus ziehen.«
Marion schloss die Augen und atmete hörbar aus.
»Sie sollten sich ausruhen«, sagte Illsen. »Im Moment gibt es nichts zu tun. Die Befragung in der SM -Szene lohnt erst am Abend, und die Tattooläden haben heute geschlossen.«
»Ich kann jetzt nicht abschalten. Solange Flaigs Schicksal ungewiss ist, finde ich keine Ruhe.«
Illsen zuckte mit den Schultern und sagte: »Lassen Sie uns die positiven Dinge sehen. Ihr Vorgehen hat den Verdacht gegen Arndt erhärtet; auch ich bin jetzt Ihrer Meinung. Deshalb werde ich bei der Staatsanwältin auf einen Haftbefehl drängen. Es passt mir ohnehin nicht, dass er hier im Gebäude sitzt.«
»Bisher hat die Staatsanwältin einer Verhaftung nicht zugestimmt, und ob sie es aufgrund der neuen Beweislage tut, bezweifle ich«, wandte Mendel ein.
»Dann muss sie ihre Meinung eben ändern. Herr Arndt darf keine Möglichkeit haben, Kontakt mit seinen Komplizen aufzunehmen. Besitzt er eigentlich ein Handy?«
»Nein. Wir haben jedenfalls keines bei ihm gefunden. Die Kammer, in der er wohnt, wurde auch durchsucht.«
»Gut. Da sich die Lage zuspitzt, dürfen wir uns keinen Fehler erlauben.«
*
Ungefähr fünf Stunden nach Lokis Anruf meldete sich Polizeiobermeister Riedel bei Illsen. »Ein Paket für Frau Tesic ist eingetroffen. Der Überbringer sitzt mit mir im Besucherraum.«
Als Hauptkommissar Illsen in Begleitung von Marion Tesic und Kai Mendel das Zimmer betrat, stand Riedel auf und legte die neueste Ausgabe des STRASSENRAND , die er gerade erstanden hatte, auf den Tisch. Max Dreiklang, der mit durchgedrücktem Rücken auf der vordersten Ecke seines Stuhles saß, blieb hingegen sitzen. Nicht weil er unhöflich war, nein. Vielmehr war es ein Zeichen seiner Unsicherheit.
»Hab ich was falsch gemacht?«, fragte er.
Marions erster Blick galt dem länglichen Paket auf dem Tisch. Sie fragte sich, warum es so groß war. Dann wandte sie sich Max zu. »Ich glaube nicht. Sie können uns sicherlich erklären, wie Sie zu dem Paket kamen.«
Max rutschte noch ein Stückchen weiter vor und stützte die Hände auf seine Oberschenkel. »Wissen Sie, so eine Lizenz bekommt man nicht einfach so. Man muss sich ordentlich benehmen und darf keinen Ärger mit der Polizei haben.«
»Keine Angst, Herr Dreiklang. Wir werden Ihnen Ihre Verkäuferlizenz nicht abnehmen. Erzählen Sie einfach, was passiert ist«, versuchte Marion ihn zu beruhigen.
»Sie kennen den Herrn?«, fragte Illsen.
»Ja, er ist ein Bekannter von Arndt. Im Zuge der Ermittlungen bin ich auf ihn gestoßen.«
»Genau, Wilbur war’s, der hat Schuld, der hat mir das Ganze eingebrockt«, ereiferte sich Max.
»Wilbur Arndt? Wann?« Marion nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu Max.
»Und dann darf ich gehen? Am Sonntag kann man ganz gute Geschäfte machen.«
»Wir sollten erst einmal das Paket öffnen«, wandte Illsen ein.
»Kann man das in einem anderen Raum tun? Ich möchte nicht unbedingt dabei sein«, entgegnete Marion.
»Sicher. Herr Mendel, Herr Riedel. Wenn Sie so gut wären?«
Die beiden Angesprochenen nickten und verließen mit dem Paket das Zimmer.
»Ist wohl was Unangenehmes? Sie sehen gar nicht gut aus, Frau Kommissarin«, sagte Max besorgt.
»Wird schon nicht so schlimm sein.« Marion versuchte zu lächeln. »Sagen Sie mir jetzt bitte, wie Sie zu dem Paket kamen.«
»Also, am letzten Freitag, da, wo es so geregnet hat und wir unter der Markise standen. Sie erinnern sich?«
Marion nickte.
»Also, da hat mir Wilbur, nachdem Sie gegangen sind, einen Schlüssel für ein Schließfach beim Hackeschen Markt gegeben. Er hat gesagt, ich soll jeden Tag um dreizehn Uhr in das Schließfach schauen. Wenn ein Paket drin ist, soll ich es sofort zu dieser Polizeidienststelle bringen. Er hat mir dafür hundert Euro gegeben. Ist ’ne Menge
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