Fingermanns Rache
Gefrierbeutel. Dann nahm er einen Teil der persönlichen Unterlagen seines Konkurrenten an sich. Er wollte mehr über dieses Schwein erfahren.
Zurück im Auto steckte sich Schorten erst einmal eine Zigarette an. Jemand wollte ihn fertigmachen, das war klar. Jemand, der ihn gut kannte, jemand, der es darauf anlegte, dass Schorten von ihm wusste. Aber warum? Eine Warnung? Eine Machtdemonstration seines Gegenspielers, um ihm zu zeigen, wie sehr er seine Frau vereinnahmt hatte? Vielleicht wollte er ihm weismachen, dass ein weiteres Suchen nach seiner Frau sinnlos war, da sie ihm hörig war. Ja, hörig musste Cordula diesem Schwein sein, anders konnte Schorten sich die Folterkammer nicht erklären. Bei alldem durfte er nicht den Hinweis auf Wilbur Arndt vergessen, den er ausgerechnet in dieser Wohnung gefunden hatte. Ein mehr als merkwürdiger Zufall. Vielleicht sollte er doch die Tesic informieren, jetzt, wo sich ein klareres Bild ergab. Aber ein Gedanke, den er gar nicht aufkommen lassen wollte und der sich doch wie ein Stachel festgesetzt hatte, hielt ihn davon ab: Was, wenn Cordula nicht Opfer, sondern Täterin war?
*
Heute Nacht würde Hilde Rensch keinen Schlaf finden, da war sie sich sicher. Die Staatsanwältin saß an ihrem Esszimmertisch. Bis auf das gebündelte Licht der Deckenleuchte war es dunkel. Vor ihr lag das von Arndt erstellte Dossier. Ein Packen Papier, der ihre Existenz gefährdete. Alles, wofür sie ihr Leben lang gearbeitet hatte, stand auf dem Spiel. Ihr Beruf, ihr Einkommen, ihr Ansehen, ihre Macht. Rensch blickte in einen Abgrund. Arndt hatte die Verbrechen ihrer Jugend aufgelistet, die Geschehnisse im Kinderheim. Auch kannte er die Namen der Männer, die ihr für Geld zu Diensten waren. Männer, die für viel Geld viel ertragen hatten. Würden diese dichthalten, wenn sie erführen, wer ihre Kundin gewesen war, wenn ihnen eine große Summe in Aussicht gestellt werden würde?
Allein ihre sexuellen Neigungen würden reichen, sie gesellschaftlich zu ruinieren, doch Arndt hatte noch viel mehr gegen sie in der Hand. Rensch zog einen Bericht ihres damaligen Führungsoffiziers aus dem Dossier: der Beweis ihrer Arbeit für die Stasi. Angeheftet waren Unterlagen zu zurückliegenden Fällen, die sie als Staatsanwältin bearbeitet hatte – alle ehemalige informelle und hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter betreffend. Ihr wurden Vertuschung und gewollte Verschleppung nachgewiesen. Genug für eine Vorstrafe oder gar Gefängnis. Damit war sie ruiniert.
Wieder einmal stellte sie sich die Frage, wie Arndt an all die Unterlagen gekommen war. Wie konnte er all das wissen? Ihre IM -Tätigkeit, ihr Amtsmissbrauch. Gab es unter den alten Seilschaften eine undichte Stelle, einen Verräter? Der Einzige, der das klären konnte, war Robert. Rensch seufzte. Mit ihm Kontakt aufzunehmen widerstrebte ihr – die Vergangenheit ließ sie gerne ruhen. Doch allein Robert besaß auch Mittel und Wege, gegen Arndt und seine Hintermänner vorzugehen. Die Frage war, wie er die Bande zum Schweigen bringen konnte. Die üblichen Praktiken der Einschüchterung oder Bestechung schieden aus. Wenn Arndt gewollt hätte, hätte er schon längst Forderungen gestellt, und einschüchtern ließ er sich garantiert nicht. Nüchtern betrachtet gab es nur eine Lösung. Eine Lösung, die selbst Rensch schreckte. Die Staatsanwältin schob das Dossier von sich und starrte in das Dunkel. Weitreichende Entscheidungen mussten wohlüberlegt sein. Rensch gab sich Zeit bis zum Morgengrauen.
Erhoffte Entscheidung
Tag neun, Montag, der 21. April
Hansen, der Chefredakteur des BERLINER TAGESGESCHEHEN s, hatte seine Ankündigung wahr gemacht. Der große Aufmacher der Montagsausgabe war die Entführung von Fabian Flaig mit all ihren Begleitumständen. In einer Sonderbeilage wurden der Fortsetzungsroman und die tatsächlichen Ereignisse zusammengefasst, ergänzt durch Kommentare und Mutmaßungen. Die Pressekonferenz würde zum Spießrutenlauf werden, da war sich Peter Illsen sicher. Einzig der klugerweise mit 9 Uhr 30 früh anberaumte Termin könnte sich als Vorteil erweisen. Die Medien hatten nicht viel Zeit, sich vorzubereiten.
Mehrere Ü-Wagen von verschiedenen Fernsehsendern und der Rückstau bis in die Wichmannstraße belehrten Illsen eines Besseren. Nur mit Mühe fand er einen Parkplatz. Da am Vordereingang ihm bekannte Journalisten standen, nahm er den Umweg über den Hinterhof in Kauf. In dem Gang, der zu seiner Abteilung führte, wurde er von Sandts
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