Fingermanns Rache
wollte.«
»Was meinen Sie mit steinigen?«
»Schauen Sie sich das Video an, dann wissen Sie, um was es geht.«
Marion bemerkte Illsens Ungeduld, dennoch hakte sie weiter nach. »Konnte man diese Videokonferenz nicht verhindern?«
»Nein, zu wenig Zeit. Wenn uns die Teilnehmer vorher informiert hätten, dann hätte eine Möglichkeit bestanden. Arndt hatte verschiedene Medienvertreter per E-Mail benachrichtigt. Über einen Link konnten die sich einloggen. Unsere Juristen prüfen, ob seitens der Teilnehmer eine Informationspflicht bestanden hat.«
»Wer hat Arndt identifiziert?«
»Sie stellen Fragen. Mendel und ich.«
»Und? Sind Sie sicher?«
Kurz war Stille in der Leitung, dann antwortete Illsen heiser: »Halten Sie mich für einen Idioten, Frau Tesic? Im Moment stehen wir im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Ein Fehler wäre unverzeihlich. Sie können davon ausgehen, dass ich durchaus in der Lage bin, einen Menschen zu identifizieren.«
»Ja, natürlich. Entschuldigen Sie, Herr Illsen. Eine DNA -Analyse ziehen Sie dann wohl nicht in Betracht?«
»Ich glaube, Sie haben mir nicht zugehört.«
»Doch, natürlich. Nichts liegt mir ferner, als Ihr Urteilsvermögen anzuzweifeln.«
»Aber?«
»Nun, ich kann einfach nicht glauben, dass diese Geschichte so ein Ende nimmt. Das Ganze ergibt keinen Sinn. Warum sollte Arndt diesen ganzen Aufwand betreiben, um sich dann erschießen zu lassen?«
»Erschießen zu lassen? Er wurde erschossen. Und das kurz vor dem wichtigsten Teil seiner Inszenierung. Wie kommen Sie auf so eine Behauptung?«
»Sie sagten, er hätte die Geisel mehrmals bedroht, obwohl ihn zig Scharfschützen im Visier hatten. Arndt mag zwar verrückt sein, aber dumm ist er nicht. Er wusste, in welche Gefahr er sich begab. Ich glaube, dass er den Schuss provoziert hat.«
»Und wenn dem so wäre? Tot ist tot. Da können wir so viele Analysen machen, wie wir wollen.«
»Und wenn der Tote nicht Arndt ist?«
Für einen Moment war Schweigen in der Leitung, dann meldete sich Illsen mit höhnischer Stimme zurück. »Hören Sie, Frau Tesic. Ich bin nur ein kleiner, einfacher Polizist, der an Fakten und ehrliche Polizeiarbeit glaubt. Wäre es Ihnen möglich, mich in Ihre äußerst komplizierten Gedankengänge einzuweihen? Und vermeiden Sie bitte, bitte! eine Erklärung, die mit weiblicher Intuition zu tun hat.«
Ertappt suchte Marion nach einer anderen Beschreibung ihres Gefühls, denn mehr als ein Gefühl hatte sie nicht. »Ich kann Ihnen leider keinen handfesten Grund für meine Vermutung nennen. Aber ich bin sicher, dass hier etwas nicht stimmt. Das Ende ist einfach nicht schlüssig.«
»Gratuliere, Frau Tesic. Das ist jetzt mal ein schlagkräftiges Argument. Ich beantrage eine DNA -Analyse, weil das Ende nicht schlüssig ist.«
»Klingt wirklich nicht überzeugend«, gab Marion zu. »Dann betrachten wir es eben von einer anderen Seite. Es kursiert ein Video im Internet, und jeder weiß über die Umstände der Entführung Bescheid. Nicht mehr lange, und es werden sich Wilbur-Arndt-Fanclubs gründen, der Mann wird zur Legende werden. Man wird über sein Leben und seinen Tod diskutieren, man wird das Video analysieren und irgendwann vielleicht zum Schluss kommen, dass es sich bei dem Mann auf dem Video nicht um Arndt handelt, dass er die Polizei zum wiederholten Mal hereingelegt hat. Deshalb wäre es dienlich, wenn man unumstößlich seine Identität und seinen Tod belegen könnte. Wurde eigentlich die Obduktion schon durchgeführt?«
»Nein, Sie wissen doch, wie sehr die Pathologie überlastet ist.«
»Dann sollten Sie hier Druck machen. Röntgenbilder und Grad der Schädigung durch das Projektil wären handfeste Beweise.«
Wieder blieb die Leitung für eine Weile stumm. Illsen schien abzuwägen. Eine unsinnige Untersuchung und der Ärger mit der Pathologie gegen den Vorwurf, nicht gründlich genug ermittelt und dadurch Verschwörungstheoretikern Auftrieb verschafft zu haben. Das eine würde nur mitleidiges Kopfschütteln erzeugen, das andere könnte einen Makel in seiner Karriere darstellen.
»In Ordnung«, presste er schließlich hervor. »Vorgezogene Obduktion und DNA -Analyse. Wir wollen niemandem eine Angriffsfläche bieten.«
»Gut«, entgegnete Marion erleichtert. Ihr war der Unmut in Illsens Stimme nicht entgangen. Ihren Vorschlägen zu folgen legte er anscheinend als Führungsschwäche aus.
Illsen räusperte sich und fuhr dann auffällig forsch fort: »Kommen wir zur weiteren
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