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Fingermanns Rache

Fingermanns Rache

Titel: Fingermanns Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Weiglein
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hin. Ihre Schuhe hatte Marion in das Handtuch gewickelt, der weiche Sand massierte ihre Füße. Vereinzelte Strandgänger kamen ihr entgegen, ein älteres Paar stürzte sich nackt und mutig in die Fluten.
    Je weiter sie sich von den Strandkörben entfernte, desto ruhiger wurde es. Irgendwann gab es nur noch sie und die Natur. Weißes gleißendes Licht ließ das satte Grün der Dünen verschwimmen. Wind und Sonne fanden ein Gleichgewicht, das Meer berührte den Himmel. Hier war ein guter Platz. Marion zog sich langsam aus. Mit jedem abgelegten Kleidungsstück stieg ihre Erregung – wie sehr hatte sie sich danach gesehnt.
    Das letzte Stück Stoff fiel – und endlich, von allem befreit, streckte sie sich der Sonne entgegen. Der Wind umschmeichelte ihre nackte Haut, sein Atem war sanft, sein Begehren erwünscht. Bedächtig, wie in Trance, schritt sie ins Wasser. Eiskalt legte sich das Nass um ihre Fesseln, die Waden, ihre Hüften, bis sie in einer fließenden Bewegung ins Meer eintauchte. Die Kälte nahm ihr den Atem, dennoch strebte sie weiter hinaus, getragen von einer unbändigen Freude, von einem fast schon vergessenen Hochgefühl. Marion drehte sich auf den Rücken und schrie ihr Glück hinaus.
    *
    Der Tisch auf der Veranda war für zwei Personen gedeckt. Josh Petersen streckte seinen Kopf aus dem Küchenfenster und fragte: »Sie mögen doch Fisch?«
    Leicht irritiert bejahte Marion. »Ich möchte aber keine Umstände machen, Herr Petersen«, fügte sie an und suchte nach einem Platz für das nasse Handtuch.
    »Nennen Sie mich Josh, alle tun das.« Ihr Gastgeber tauchte mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern auf.
    »Das Handtuch können Sie bei den Schaukeln aufhängen.«
    Marion schlenderte über die frisch gemähte Wiese zur Grundstücksgrenze. Eine Wäscheleine war zwischen dem Schaukelgestell und einer Eiche gespannt. In den Baum waren zwei Namen geritzt: Suna und Maike. In der Ferne hörte sie das Meer rauschen. Als sie zurückkehrte, entkorkte Josh die Flasche.
    »Für mich bitte keinen Alkohol«, sagte sie.
    »Sie trinken keinen Wein?«
    »Selten. Mir geht’s danach nicht so gut.«
    »Dann trinken Sie den falschen. Den vertragen Sie garantiert.« Josh schenkte beiden ein.
    »Mir war das ernst. Ich bleibe lieber bei Wasser.«
    »Ja, sicher. Lassen Sie den Wein einfach stehen. Er wird schon wegkommen.« Josh nahm einen Schluck und schnalzte mit der Zunge. »Sie wissen nicht, was Sie versäumen. Viele behaupten, zum Fisch gehöre Weißwein. Ich bin da nicht so engstirnig. Je nachdem, wie ich aufgelegt bin, trinke ich den einen oder den anderen. Heute ist ein unbedingter Rotweintag. Entspannte Abendstimmung und das Erinnern an längst Vergangenes verlangt nach dem Roten – und natürlich nach einem guten Essen.«
    Josh sprang auf und kehrte mit zwei großen Tellern zurück. Grüner Salat stand bereits auf dem Tisch. »Gebratener Dorsch, gefüllt mit frischen Kräutern. Dazu Stampfkartoffeln mit Petersilie.«
    Marion konnte ihren Heißhunger kaum verbergen, sie hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Der Fisch schmeckte köstlich. Er war nur mit Pfeffer und Salz gewürzt, in den Kräutern konnte man einen Hauch Knoblauch erahnen. Unbewusst griff sie nach dem Weinglas.
    »Trinken Sie nur. Ich erzähle es keinem weiter.« Josh lehnte sich zurück. »Wissen Sie, dass Ihre Augen noch immer leuchten? Das Meer vergisst seine Kinder nie.«
    »Sie haben recht, Josh. Es war wunderschön.«
    »Glauben Sie an Wiedergeburt?« Sein Blick begegnete ihrem. »Nein? Ich schon. Ich bin überzeugt, dass Sie schon einmal hier gelebt haben. Die Insel ist Ihre Heimat, Ihr Glück. Sie sollten hierher zurückkehren. Bei mir gibt es immer etwas zu tun. Meine Schwägerin könnte Unterstützung gebrauchen.«
    Verwundert fragte Marion: »Was reden Sie eigentlich, Josh?«
    Der lächelte hintergründig und entgegnete: »Entschuldigen Sie. Wenn ich mal ins Fabulieren komme, dann setzt mein Verstand aus. Natürlich ist eine Kriminalkommissarin aus Berlin nicht an einem solchen Leben interessiert. Meine Töchter werfen mir auch immer Weltfremdheit vor.«
    »Suna und Maike?«
    »Ja, die beiden haben sich in der Eiche verewigt. Sie sind längst weggezogen – in die große weite Welt. Hier war es ihnen zu eng, zu langweilig. Lustig ist nur, dass beide jetzt wieder auf Inseln leben. Suna auf Hawaii im Tourismusgeschäft und Maike auf Island als Geologin. Einmal im Jahr besuchen sie mich, und das Erste, was sie tun, ist, sich auf

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