Finish - Roman
Papier zu bringen, was ich für Dich empfinde.
Deine
Hettie
Mit geröteten Wangen und klopfendem Herzen saß Buck im flackernden Kerzenschein und ließ seinen Blick über die Seiten fliegen. Ihr Inhalt überwältigte ihn, erfüllte ihn, und die Tränen rannen ihm übers Gesicht und tropften auf das rosafarbene Briefpapier. Er spürte, dass er den Brief noch einmal lesen musste, um sicher zu sein, dass er echt war. Mit dem Saum seines Nachthemds wischte er sich die Augen. Diesmal las er die Zeilen langsam, Wort für Wort. Dann sprang er auf, reckte den Brief in die Höhe und tanzte über die knarrenden Holzdielen durchs Zimmer. Sean, der an der Waschschüssel stand, hielt inne und sah ihn verdutzt an.
»Sean!«, rief Buck. »Sie liebt mich!«
Doch der junge Boxer war mit seinen Gedanken woanders. Er lächelte abwesend.
»So ist es, Buck«, sagte er leise. »Sie liebt dich.«
Als George Grimthorps Truppe am 18. März um sieben Uhr morgens ihr Ziel nach etlichen Umwegen endlich erreichte, wimmelte das im Halbdunkel liegende, grasbewachsene Feld bereits vor 2000 Boxsportanhängern. Zum Teil waren sie aus Glasgow, Paris und Dublin angereist, es war eine bunte Mischung aus Spielern, Huren, Taschendieben und Boxcracks. Seit sechs Uhr morgens waren sie per Kutsche, zu Pferde oder zu Fuß eingetroffen und hatten ihre Wetten bei den Buchmachern platziert, die ihre Tafelnauf einer Böschung oberhalb des buckeligen, grasbewachsenen Rings aufgestellt hatten.
Die Buchmacher tranken aus ihren Flachmännern, derweil sich die Boxanhänger mit heißem Tee und Kakao begnügen mussten, den es an provisorischen Verkaufsbuden am Feldrand zu kaufen gab.
Der Wettfavorit war Smith, der den Boxer Ned Bolt aus Yorkshire im September 1876 in nur 19 Runden in einen hilflosen Klumpen verwandelt hatte und einen Franzosen namens Lacoste, der sich im Januar arglos über den Ärmelkanal getraut hatte, in nur zwei Runden bewusstlos in den Schnee hatte sinken lassen.
Um acht Uhr morgens ließ die Wetttätigkeit allmählich nach, und im Ring, der im Morgendunst lag, begannen die Rahmenkämpfe. Die Quoten für Smith lagen jetzt bei sechs zu eins dafür, die gegen Sean Casey schwankten zwischen zwei zu eins und neun zu vier dagegen. Buck setzte 50 Pfund bei zwei zu eins auf seinen Trainingspartner.
Als der Ringrichter, ein plattnasiger walisischer Boxer namens Dai Gabriel, die beiden Kontrahenten zu sich rief, konnte der Mob, der sich um den Ring drängte, nur mit Mühe von einer Gruppe Schlägern, die John J. John und Smiths Sponsor Albert Gunn angeheuert hatten, in Schach gehalten werden.
In Bucks Augen wirkte der 90 Kilo schwere Smith dick und untrainiert. Zwar hatte er einen breiten, kräftigen Oberkörper und mächtige Arme, doch seine Taille war speckig und wulstig, ohne das kleinste Anzeichen von Bauchmuskulatur. Dagegen hatte der fast zehn Zentimeter kleinere und zwölf Kilo leichtere Sean Casey nicht ein Gramm Fleisch zu viel an sich. Der Mann aus Donegal strotzte vor Fitness. Als sie in den Ring traten, setzte Buck noch einmal 20 Pfund auf Sean.
Hüfthoch eingehüllt in Morgennebel, standen die drei Männer wie ein Tableau vivant in der roten Wintersonne, die hinter ihnen langsam über die grasige Böschung stieg.Hier und da hallten Rufe durch die Stille. Wie er inmitten der drängelnden Menge neben Grimthorp in Seans Ecke saß, war Buck froh, dass er seinen Seehundsmantel trug. Sein Leben lang würde er sich an die zwei Gerüche erinnern, die die kalte Morgenluft erfüllten: der schale Geruch von Whiskey und der Duft frisch gemähten, nassen Grases. Dies und die Gänsehaut auf Sean Caseys weißem Rücken, während er im Ring stand und Jem Smith fixierte.
Nach der 20. Runde war keiner der beiden Männer wiederzuerkennen gewesen. Dann, in der 25. Runde, hatte Jem Smith, dessen Gesicht sich bereits zu einer bluttriefenden Fratze verwandelt hatte, Sean Caseys Nase gebrochen, und das Blut spritzte nur so auf Seans behaarte, verschwitzte Brust. Jetzt, nach eineinviertel Stunden und in der 48. Runde, ging es kaum noch darum, wer siegen würde: Es ging darum, wer überleben würde.
Das Schockierendste aber war für Buck das Geräusch des ersten schweren Schlages gewesen. Er hatte sich in der vierten Runde ereignet, Casey war sofort auf die Bretter gegangen, und das Blut strömte aus seiner aufgeplatzten Wange und sickerte in das feuchte Gras. Es war genau das gleiche Geräusch, das Seans Fäuste beim Training auf dem Sandsack machten;
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