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Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)

Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)

Titel: Finn und der Kristall der Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Konrad
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Blitz wohl irgendwo anders eingeschlagen. Und dann guck ich aus dem Fenster, und da steht eine Frau auf den Kirchenstufen und hat irgendwas im Arm, und ich denke, das sieht aus wie ein Kind in einer Decke, will die das etwa aussetzen? Das ist verboten, wisst ihr, so was darf man nicht… Die Suppe, denk ich mir, die Suppe werde ich ihr versalzen. Und ich renne aus dem Haus und da steht die Frau und ich seh’ sofort, dass das Kind, das sie auf dem Arm hat, nicht ihres sein kann. Und tatsächlich, sie sagt auch, Herr Pfarrer, ich hab das Kind hier eben gefunden, was soll ich nun tun? Und ich sag, liebe Frau, wir müssen die Polizei verständigen. Und sie ist einen Moment lang still, und guckt sich das Kind an, und dann sagt sie, das ist eine gute Idee. Das werde ich tun. Aber Sie, Herr Pfarrer, Sie gehen schnell wieder ins Haus, sonst erfrieren sie mir noch.
    Ja, und das hab ich dann getan. Ich dachte ja, die Polizei würde noch einmal kommen und mich befragen, aber das taten sie nicht.“
    Er schüttelte betrübt über das Versäumnis der Polizei den Kopf.
    „Bitte, Herr Pfarrer“, fragte Finn höflich, „woher wussten Sie, dass das Kind nicht das Kind dieser Frau sein konnte?“
    „Ach Jungchen“, kicherte der alte Mann, „das war doch offensichtlich. Die Frau war arm. Sie trug alte, zerschlissene Kleidung und löcherige Schuhe. Außerdem war sie, wenn mich nicht alles täuscht, selber schwanger. Aber das Kind auf den Kirchenstufen war noch ganz klein, also konnte es nicht ihres sein. Und es lag in einer wunderbar weichen, ganz neuen Decke, so warm und kuschelig, so etwas Schönes habe ich noch nie gesehen. Seine Eltern müssen ziemlich viel Geld gehabt haben.
     
    Eine Weile war es still in der alten Pfarrküche, nur das asthmatische Keuchen des ehemaligen Pfarrers war zu hören. Beide Jungen versuchten, das eben Gehörte mit dem in Einklang zu bringen, was sie bisher zu wissen geglaubt hatten. Beiden Jungen hatte man erzählt, sie seien in eine alte Decke gewickelt gewesen, die darauf hinwies, dass die Eltern wohl sehr arm gewesen sein mussten. Aber zumindest einer von ihnen war in eine weiche, neue Decke eingewickelt gewesen.
    Finn überkam ein Gefühl der Eifersucht. Warum hatte man den Bruder in neue Decken gewickelt und ihn selber in eine alte, benutzte? Sogleich versuchte er, diese Regung zu unterdrücken. Vielleicht hatten die Eltern nicht mit Zwillingen gerechnet. Vielleicht besaßen sie nur die eine teure Decke. Es gab viele Möglichkeiten.
    Toms Gedanken schienen in eine andere Richtung zu gehen.
    „Ich kann mir vorstellen“, murmelte er, „dass Mutter… also Lucys Mutter“, berichtigte er sich, „die teure Decke einfach verkauft hat. Für Geld macht die doch alles.“
    „Also wirklich, Jungchen“, mischte sich der Pfarrer ein, „es ist nun wirklich nicht höflich, so etwas zu sagen.
    Obwohl du natürlich Recht haben könntest“, fügte er nach einer nachdenklichen Pause hinzu.
    Tom schien ihn nicht zu hören.
    „Warum aber hat sie mich dann behalten? Die Decke, klar. Aber mit mir konnte sie doch gar nichts anfangen?“
    „Vielleicht hat die gedacht, mit dem Kind so reicher Eltern könnte sie noch mehr Geld rausholen?“,  grübelte Finn. „Oder sie hat denjenigen beobachtet, der dich ausgesetzt hat.“
    „Ich hab mich immer gefragt“, ließ sich der alte Mann vernehmen, „was die Frau um diese Uhrzeit draußen gemacht hat. Ich meine, sie war hochschwanger, es war eisig kalt, und dann diese Uhrzeit! Es war genau um Mitternacht!“
    Finn verschlug es die Sprache.
    „Es war Mitternacht?“, fragte er aufgeregt. „Sind Sie sicher?“
    „Aber natürlich, Jungchen!“, kicherte der Alte. „Ich hatte kurz bevor der Donner kam, noch auf die Uhr gesehen, und überlegt, ob ich nicht ins Bett gehen soll. Oh, da fällt mir etwas ein. Wartet mal kurz.“
    Keuchend stand er auf und verließ die Stube. Tom sah Finn überrascht an.
    „Was ist an Mitternacht denn so ungewöhnlich?“, fragte er.
    „Na, ich bin auch um Mitternacht gefunden worden“, antwortete Finn. „Der alte Wilhelm hat es mir erzählt.“
    „Ja und?“
    „Wenn wir davon ausgehen, dass wir in derselben Nacht ausgesetzt worden sind, und zur selben Uhrzeit, aber zehn Kilometer voneinander entfernt – dann müssen uns wohl zwei verschiedene Leute auf die Kirchenstufen gelegt haben.“
„Es könnte aber auch sein, dass wir da eine ganze Weile gelegen haben, bevor wir entdeckt worden sind.“
    „Das glaube ich nicht.

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