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Finne dich selbst!

Finne dich selbst!

Titel: Finne dich selbst! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Gieseking
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Dass aber einer der Ordner wirklich mal hätte eingreifen müssen, habe ich nie erlebt. Der Finne hält sich grundsätzlich an Gesetze. Regeln werden fast immer eingehalten.

Am Altar von Alvar Aalto
    Gestärkt durch unseren ersten
lounas
, setzen wir den Stadtrundgang fort. Die Innenstadt von Lahti ist »funktional«. Eine »Altstadt« sucht man vergebens, hier sind stattdessen einige Bausünden der sechziger bis achtziger Jahre zu besichtigen. Die alten Holzhäuser wurden nach und nach abgerissen und durch Stein- und Betonbauten ersetzt. Wo Tampere, Porvoo und andere finnische Städte noch mit Resten einer schnuckeligen Vergangenheit glänzen, den pastellfarbenen Holzhäusern, wurden hier das Zweckdesign moderner Mehrfamilienhausarchitektur und die Siebziger-Jahre-Kaufhaus-Fassaden die stilprägenden Elemente. Alte oder gar historische Gebäude fehlen komplett. Nur noch ein Holzhaus von 1900 findet sich in der Hämeenkatu. Der Modernisierungswahn finnischer Stadtplaner hat trotzdem viel Schönes belassen. Man muss eben zweimal schauen.
    Wir stehen an der Schnittstelle zwischen der Aleksanterinkatu,
katu
heißt Straße, und der Mariankatu, direkt am Marktplatz. Axel will einkaufen gehen und überlässt uns der Stadt, erklärt aber noch, die Aleksanterinkatu sei die zentrale Haupteinkaufsstraße und die große Ost-West-Achse. Wir stehen quasi in einer Senke. Schaut man nach Süden den Hügel empor, sieht man oben das Rathaus. Blickt man nach Norden hoch, über den Marktplatz, schaut man auf eine Kirche, aufgesattelt auf einen kleinen Bergrücken.
    »Da möchte ich wohl rein«, sage ich.
    Hermann staunt: »Großer, seit wann interessierst du dich für Kirchen?«
    »Na, als Zimmermann!«
    »Jau, is’ klar! Hatte ich kurz vergessen, dass du ja mal einen ordentlichen Beruf gelernt hast.«
    Ich hatte nach dem Abitur erst mal nicht studieren wollen und eine Lehre gemacht und, zum Entsetzen meiner Eltern damals, den gleichen Beruf wie mein Vater gelernt, Zimmermann.
    »Denn los«, gibt Ilse vor.
    »Kreuzkirche«, lese ich aus dem Reiseführer vor.
    Hermann schaut nach oben zum Turm. »Na ja, die vielen kleinen Fenster da vorne sehen ja auch aus wie ein Kreuz.«
    »Scheint sich der Architekt wohl was bei gedacht zu haben«, murmelt Ilse.
    »Hör mir auf mit Architekten«, brummelt Hermann, der ehemalige Handwerker.
    Ich zähle: 52  Fenster. Für – natürlich – 52  Wochen. Das Jahr als Kreuz aus Fenstern. An der Fassade wandern in vier senkrechten Reihen je elf quadratische Fenster empor. Von der zweithöchsten Reihe gehen je vier Fenster nach rechts und links ab, die Seitenarme des Kreuzes.
    »Die Kirche ist berühmt«, trage ich vor, »vor allem weil sie das letzte Gebäude ist vom finnischen Meisterarchitekten Alvar Aalto.«
    »Alvar oder Altar?«, ulkt Hermann. Meine Eltern gehen nicht ins Kino und spielen keine Computerspiele, sonst hätte er sicher auch noch »Avatar« aufgezählt.
    Mittlerweile sind wir oben auf dem Hügel angekommen. Das Kirchengebäude hat die Form eines saftigen Tortenstücks, wie eine Schwarzwälderkirsch. Darüber, das hatten wir von unten schon gesehen, steht leichtfüßig der »Kirchturm«, gebildet aus Stelen, 40  Meter hoch, mit den beiden Glocken aus der alten Holzkirche, wie der Reiseführer noch verraten hat.
    »Die ist bestimmt zu«, befürchtet Ilse.
    »Versuch macht kluch«, halte ich dagegen und ziehe die Tür auf. Im großzügigen Vorraum des Kirchensaales steht ein Paar im Gespräch mit einer Dame in Jeans. Holzpantoletten an den Füßen, Cordjacke, drunter aber ein schwarzes Pfarrerinnengewand – eine Art Talar, aber kürzer geschnitten als Hemd, mit einem weißen Band am Kragen, in der Hose getragen. Freundlich schaut die Dame zu uns herüber und spricht uns auf Finnisch an.
    »Sprechen Sie auch Deutsch?«
    Sie schüttelt den Kopf. »English please.«
    Ich erzähle ihr, dass wir Touristen sind und uns für die Kirche interessieren.
    »Habt ihr einen Moment Zeit?«, fragt sie.
    »Ja klar.«
    Sie beendet das Gespräch mit diesem, wie sie später erklärt, künftigen Brautpaar. Dann stellt sie sich vor: »Kaija.« Eine von elf Pfarrerinnen und Pfarrern der Kreuzkirchen-Gemeinde. Das ist alles andere als förmlich oder distanziert, das ist typisch finnisch, Vorname und »du«.
    Ich stelle mich vor. Hermann sagt: »Angenehm, Gieseking.«
    Ich sage: »Die duzen sich hier in Finnland und reden sich mit dem Vornamen an.«
    »Ja, gut, denn: Hermann!«
    »Ich bin die Ilse.«
    Nun

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