Finne dich selbst!
dem Zug fahren, später, als ich aufs Gymnasium ging«, erzähle ich.
»Ihr seid nie mit Skiern zur Schule gelaufen?«, lacht Matti.
»Nie!«
Axel erinnert sich: »Wir hatten doch diese alten Skier. Aber es gab nirgends einen Hügel, den man hätte herunterfahren können. Es waren aber auch keine richtigen Langlaufskier. Also bin ich mit denen als Kind mehr über das Feld gerutscht als gelaufen!« In seiner Phantasie aber war er auf einer großen arktischen Expedition.
Matti lächelt: »Hier waren die Ski im Winter so selbstverständlich wie im Sommer die Fahrräder.«
Wir kommen in Vääksy an. Das kleine Städtchen liegt genau zwischen Päijänne- und Vesijärvi-See. Ein kleiner Kanal verbindet die beiden Seen und ist ein touristischer Anziehungspunkt. Die Straße führt kurz hinter der Schleuse als Klappbrücke über den Kanal. Hier klappt man, wenn Schiffe mit Mast geschleust werden müssen, die Straße hoch, und die wartenden Autofahrer schauen zu, wie Paddler, Segel- und Motorschiffe von einem See zum anderen wechseln.
Ein paar Meter weiter ist schon der Flohmarkt.
Kirppis
. Eine echte finnische Tradition. Secondhandladen und Flohmarkt zugleich.
Kirppis
gibt es sowohl auf dem Land als auch in den Städten, hier sind es Läden, die zu den üblichen Geschäftszeiten geöffnet haben. In Lahtis Innenstadt sehen wir in beinah jeder Straße ein Hinweisschild zu einem
kirppis
. Manche werden von sozialen Organisationen betrieben, in anderen mietet man sich privat eine Box oder einen Stellplatz mit Tisch und Kleiderstange, manchmal auch nur ein paar Regale, und stattet sie mit Ware aus: altem Kinderspielzeug, Möbeln, Kleidung, Schuhen, Büchern, CD s, Werkzeug und Geräten aller Art, was auch immer. Die Waren werden mit einem Schild mit Preis und Regalnummer versehen, und es gibt eine zentrale Kasse, an der registriert wird, wessen Artikel zu welchem Preis verkauft wurden.
Dieser Handel mit nicht mehr gebrauchten Sachen ist fast ein Volkshobby. Irgendwer aus den Familien schaut fast täglich nach und ordnet Wäsche, Hosen und Röcke neu, sortiert Bücher und Zeitschriften zurück oder füllt die Regale auf und wechselt aus.
Hier in Vääksy ist es mehr ein klassischer Flohmarkt, der einmal monatlich draußen, »open air«, organisiert wird. Wer sich für ein anderes Volk interessiert, sollte zum Flohmarkt gehen. Das ist besser und informativer als jedes Heimatmuseum. Und meist umfänglicher. Hier gibt es alles zu sehen, was ein Volk hervorgebracht hat bzw. was es interessiert – in diesem Fall vom Kaffeelöffel bis zum BMW mit Rallye-Spoiler.
Die Sonne strahlt, wir schlendern über den Markt. Wir befinden uns auf einem Gang durch mindestens 50 Jahre finnischer Alltagskultur: Gläser, Vasen, Geschirr. Minimotorräder. Kleidung, Schnickschnack, Kinderspielzeug, Körbe und Flechtwaren aus Birkenrinde. Akkordeon und Römertöpfe, Kuhglocken und Holzfässer. Fernbedienungen, gleich eine ganze Tasche voll. Werkzeuge, »schangelig« und verrostet bis hin zu topgeschärften und geölten Äxten, Schippen und Sägen. Waagen und Gewichte. Hier lässt sich locker die gesamte Entwicklungsgeschichte der Telefongeräte auf den wenigen Quadratmetern von maximal drei Verkaufstischen nachvollziehen, vom Wandtelefon mit Wählscheibe bis hin zur neuesten Handygeneration. CD s. Schallplatten. Ein Paradies für Axel, der wie ein Goldschürfer loszieht und Rock-’n’-Roll-Raritäten sucht. Und findet. LP s und Singles. An anderen Tischen gibt es Angeln, Angelköder, Netze. Eishockey-Schienbeinschoner, Eishockey-Schläger.
Ein Händler zeigt mir stolz eine Patronentasche, gefertigt in Ulm, mit Stempel von 1923 , die habe die finnische Armee damals benutzt. Er sagt: »Eine sehr gute Tasche. Schau nur: die Verarbeitung, die Nähte, wirklich schön. Dagegen diese russische Patronentasche: hässlich! Nur für den Krieg gemacht!« Er spricht Englisch mit mir: »Very ugly! Only for war!« Ich stöbere weiter und entdecke Pistolentaschen. Eine Parabellum-Pistole. Eine Pilotenhaube. Ein Tokareff-Aufsteckmesser. Der Händler kommentiert: »Sehr selten.« Ein Schiffslog. Benutzt, um die Geschwindigkeit von Schiffen zu errechnen. Logge mit Gravur: »C. Bening Cuxhaven«. Wir schlendern zu anderen Ständen. Teppiche. Taschen. Wir sind jetzt quasi in einem Modemuseum.
Allein die Bandbreite der Verkaufstische: Hocker, Böcke, Plastikkisten, Tapeziertische, Ausziehtische mit Intarsien. Wenn die Ehefrauen mit verkaufen, liegen Decken
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