Finne dich selbst!
selbst für Pauli schwierig. Wir einigen uns schließlich auf »weibliches Echo«.
Zu den besten Zeiten wurde in Kuovola, dem Zentrum des Akkordeonbaus, in einer Manufaktur mit 20 Mitarbeitern täglich ein Instrument fertiggestellt, etwa 30 Stück wurden im Monat gebaut. Natürlich sind wir besonders interessiert an der Akkordeongeschichte Lahtis, und Tauno schüttelt Zahlen und Daten nur so aus dem Ärmel. In Lahti gab es bis 1938 drei Fabriken. Dann kam der Winterkrieg mit der Sowjetunion. Der wurde auch für diesen kleinen Industriezweig zum Problem. »Towarischtsch kam und nehme alles!«, sagt Pauli. Er erzählt, dass damals viele Musiker im Krieg waren, viele Soldaten hatten ihr Instrument mitgenommen. Lachend und gestenreich, fast spitzbübisch beschreibt Pauli, wie die Soldaten sich im Winterkrieg immer zuerst das Instrument auf den Rücken geschnallt hätten und dann erst die Waffe. Und er berichtet vom Fronttheater. »Die Männer im Krieg waren erschöpft und müde. Dann kamen die Sänger, Musiker, Tänzer, das Varieté und heiterten sie auf. Die Menschen vergaßen ihre Melancholie und dachten einige Momente lang nicht mehr an den Krieg.«
»Du spielst auch?«, frage ich.
Pauli grinst, greift in die Hosentasche und zieht sein handliches Instrument hervor. »Ich spiele Mundharmonika.« Er bläst kurz hinein und erzählt dann vom jährlichen Treffen »Mundharmonika Live« in Klingenthal im Vogtland. »Letztes Jahr bin ich hingefahren, mit zwei Kameraden, mit einem Wohnwagen. Über 4000 Kilometer. Via Baltika und zurück. Und abends immer Musik gemacht. Wir waren fünf Finnen in Klingenthal. Wir spielten an vielen verschiedenen Plätzen. Aber deutsche Musik ist anders. Finnische Musik ist sehr melancholisch. So viel aus Russland. Moll. Immer Moll. In Deutschland spielen alle Dur.«
Wir stehen vor einem Bandoneon, »L’armonica Stradella Special Italika« mit wunderschönen Intarsien aus dem Jahr 1920 .
Dann erzählt Pauli von Horst Soyeaux: »Mein guter Freund aus Rostock.« Er und seine Frau haben dort eine Bierstube, die »Feuchte Geige«. Hermann, Ilse und ich prusten los vor Lachen, und die anderen Finnen im Museum drehen sich erstaunt zu uns um. »Wenn 20 Menschen kommen, alles voll. Viel zu klein!« Er lacht und man sieht ihm die Erinnerungen an zahlreiche fröhliche Stunden dort an. »Heißt eigentlich ›Zur Gemütlichkeit‹.« Wir lachen schon wieder. Entertainer Pauli setzt gekonnt die Schlusspointe: »Adresse ist die ›Faule Straße Nummer 7 ‹.«
Es sei eine Bierstube, komplett vollgestellt mit Mobiliar und Gegenständen aus der DDR , alles selbst gesammelt. Der Horst sammele überhaupt alles und jedes. Pauli zeigt auf eine Vitrine. Mundharmonikas, Akkordeons, in der DDR gebaut, Meteor Knopfakkordeons, Einreiher, Zweireiher, Dreireiher und Fünfreiher, gebaut zwischen 1960 und 1970 . »Hat alle Horst dem Museum geschenkt!«, sagt er.
Dann tauchen wir wieder ein in finnische Welten. Die älteste Ziehharmonika hier ist von 1846 . Inzwischen steht Tauno zwischen den Vitrinen und spielt auf einem sehr alten Instrument. Er zeigt uns die Mulden, wie ausgetretene Treppenstufen, die die Finger hier in ungezählten Spielstunden in die Holzleiste gedrückt haben. Wir hören zu. Ich zeige auf Ilse: »Sie spielt auch.«
»Ewig oll nich mehr«, sagt sie sofort abwehrend. Ewig nicht mehr.
Schon hält ihr Tauno das Instrument hin. Aber sie will nicht. »Ich möchte mich nicht blamieren!«, sagt sie energisch.
In diesem Fall nützt auch Taunos Altherrencharme nichts. Pauli übersetzt, und Tauno spielt lächelnd weiter. Ilse zischt mir zu: »Härst du man gor nix e secht!« Hättest du bloß nichts gesagt!
Pauli zeigt auf Fotos von einem finnischen Instrumentalisten, dem seit Geburt an den Händen je zwei Fingerglieder fehlten. »Er ist sehr gut, er spielte und sang schon als Fünfjähriger«, sagt er. Und dann sieht er uns an, wird ganz ernst, zeigt auf seine Brust und beschreibt ein Mysterium mit den Worten: »Das Geheimnis der Musik war gleich in ihm drin.«
Wir stehen vor italienischen und russischen Instrumenten, vor Reparaturtischen und Werkzeugen, vor Urkunden und Noten, ein unglaublich liebevolles Sammelsurium. 1993 hat dieses Museum geöffnet. Wie finanziert man das? Die Stadt Sysmä berichtet gern über »ihr« Akkordeonmuseum, aber es war über Jahrzehnte nur die Sammelleidenschaft von Tauno, seine Spiellust, seine Faszination gegenüber dem Instrument, gegenüber der Musik, die
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