Finnischer Tango - Roman
roten Tischtuch über die gelben Wände zu der etwa zwanzigjährigen Frau mit orangefarbenem Haar am Nebentisch, die ihre nächtlichen Sex-Abenteuer am Handy schilderte, als wäre sie zu Hause. An einem anderen Tag hätte das Eeva amüsiert, aber heute konnte es ihre düsteren Gedanken nicht vertreiben.
Was für ein Leben würde Kirsi haben, wenn man ihre Mutter einsperrte und das Mädchen in die Obhut seines durchgedrehten Vaters gab? Vom Alltag der Kindeserziehung wusste Antti Hytölä nichts. Hatte sie ihre Tochter für Jahre das letzte Mal gesehen, als sie Kirsi am Vormittag bei Mikko zurückließ? Eeva bemerkte auf dem Tallinnanaukio einen Mann, der wie Mikko aussah, unter seinem Anorak schaute ein Stück vom Pullover heraus. Würde irgendetwas jemals wieder so werden wie vorher? Sehnsucht packte sie und vermischte sich mit der Angst. Wieder schoss ihr der Gedanke an eine Flucht durch den Kopf, eine Flucht ins Ausland – oder in die Drogen. Aber sie sagte sich immer wieder, dass keine der beiden Alternativen irgendein Problem lösen würde, und hoffte, die Versuchung würde nicht zu groß werden.
»Nee, heute treffen wir uns nicht. Jeden Tag hält so was ja kein Schwein aus … ja, ja, natürlich weiß ich das … am Anfang sind die immer so, und nach ein paar Wochen liegen sie nur noch auf dem Sofa rum und sagen dir, du sollst noch ein Bier bringen.«
Das hörte sich ganz beängstigend danach an, als hätte die junge Frau, die so laut telefonierte, als wären alle anderen taub, ihren Glauben an das gefühlvolle Wesen des finnischen Mannes verloren, dachte Eeva und schaute sich um. In der Küche des Restaurants hantierte ein Paar, vermutlich waren das die Eigentümer der Gaststätte. Dann ging die Tür auf, sie drehte sich um, aber statt des Türken kam ein Glatzkopf herein, der seine Tasche schleppte und wie ein Beamteraussah. Sollte sie die Besitzer fragen, ob jemand eine Nachricht für sie hinterlassen hatte? Sie wirkten wie ganz gewöhnliche Gastwirte, es fiel schwer, sich vorzustellen, dass sie etwas mit dem Türken zu tun hatten.
Eevas Hand mit der Gabel verharrte vor ihrem Mund, als der Türke wie aus dem Nichts im Restaurant auftauchte.
»Wir haben es eilig, folgen Sie mir«, sagte er barsch und griff nach ihrer Schulter. Das Besteck fiel klirrend auf den Teller, Eeva konnte gerade noch ihren Mantel mitnehmen. Im Laufschritt hasteten sie durch die kleine Küche zur Hintertür des Restaurants und dann ins Treppenhaus, wo sie die wütenden Rufe der Restaurantbesitzer nicht mehr hörten.
Sie rannten in das unterirdische Parkhaus von Itäkeskus, wo ihre lauten Schritte das Brummen der Klimaanlage und die Geräusche der Autos übertönten. Der Türke schob Eeva zur Fahrerkabine des Transit-Transporters und ging selbst schnell auf die andere Seite.
»Die Sicherheitspolizei beschattet Sie seit gestern, wahrscheinlich werden auch Ihre Gespräche abgehört. Wir müssen schnell hier weg, in diesem Haus befindet sich eine Polizeiwache«, sagte Turan Zana und fluchte innerlich über seine Helfer. Bei der Wahl des Restaurants hatten sie ihren ersten groben Fehler begangen.
Der Transporter fuhr über die Rampe aus dem Parkhaus hinaus, bog auf der Itäkatu nach rechts ab und beschleunigte in Richtung Zentrum.
»Sie werden bald gebraucht, in ein paar Stunden. Eine Weile müssen Sie noch warten«, erklärte der Türke Eeva, als der Wagen in den Verkehrsstrom auf dem Itäväylä eintauchte.
Eeva überlegte, warum Ratamo ihr nicht erzählt hatte, dass die SUPO sie überwachte. Und woher kannte sie den stechenden Geruch in der Fahrerkabine? Blitzartig wurde es ihr klar, das war Pulvergestank, sofort stieg ihre Angst in diefünfte Potenz. »Was muss ich tun? Wofür wird mein Zahlengedächtnis gebraucht?«
Zana überlegte einen Augenblick, was er antworten sollte. Adil hatte verboten, zu viel auszuplaudern. »Sie müssen den Code zu einem … wichtigen Datensystem knacken.«
Eevas Gehirn setzte einen Augenblick aus. Hatte der Türke die falsche Frau als Opfer gewählt? »Damit kenne ich mich doch aber überhaupt nicht aus …«
»Hören Sie. Wir wollen auf einige Internetseiten gelangen, die mit einem Passwort geschützt sind, das …«
Zana machte eine heftige Bewegung am Lenkrad, als er die Abfahrt Herttoniemi und Roihupelto bemerkte.
»Ich verstehe von Computern oder Passwörtern genauso wenig wie …«
Zanas wütender Blick brachte Eeva zum Schweigen. »Diese Internetseiten sehen aus wie ganz normale, von
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