Finnischer Tango - Roman
das Kellergeschoss, als ihm einfiel, dass der Käfer immer noch in der Werkstatt stand. Aber das machte nichts, bis zu Mikko Reimans Fotoatelier waren es nur ein paar hundert Meter.
18
Adil al-Moteiri stand im abgelegensten Winkel des Industriegeländes von Roihupelto, betrachtete das flache, aus weißen Betonfertigteilen errichtete Fabrikgebäude und spürte den Lebenswillen in sich so stark wie noch nie seit den Qualen von Camp Bucca. Was er sich da gerade anschaute, würde schon bald ein Tempel des Rechts sein, ein Ort, an dem er einem jener Menschen, deren Leben er zum Besseren wenden wollte, die Lauterkeit seiner Motive beweisen würde. Die vor der Fabrikhalle gestapelten Holzkisten und Kanalisationsrohre und die LKWs und Transporter, die auf dem Weg standen, verdeckten die Sicht von der Straße auf sein künftiges Büro. Der Ort war perfekt, sein Plan lief wie geschmiert.
Seine Begeisterung wuchs und grenzte schon an Leidenschaft, als er zu dem Büro ging, das ein in Finnland lebender kurdischer Kamerad Turan Zanas schon vor Monaten für ihn gemietet hatte. Nicht einmal der unangenehme Frost konnte seine Emotionen abkühlen. Wenn das Büro von innen auch nur annähernd so karg wirkte wie von außen, würde er seinem künftigen Ehrengast zumindest eine Ahnung davon vermitteln können, was er selbst hatte erleiden müssen, um zum Wohltäter zu werden. Vielleicht würde auch sein Gast lernen, alles aus dem richtigen Blickwinkel zu sehen, und sein Leben künftig dem Streben nach Gerechtigkeit widmen. Dazu würde es aber kaum kommen, nur die Stärksten waren zu einer solchen Wandlung imstande, wie er sie erlebt hatte.
Der Philosoph Alasdair MacIntyre hatte gewusst, wovon er sprach, als er sagte, dass einem ehrlichen Menschen in der auf das Individuum bezogenen Welt der Gegenwart nicht unbedingt eine gerechte Behandlung zuteil wird. Ein tugendhafter Mensch kann sogar gezwungen sein, allein außerhalbder Gesellschaft zu leben. Adil wusste, dass die Behauptung stimmte, wunderte sich aber, warum man deswegen besorgt sein sollte. Er fühlte sich in seiner eigenen Welt sehr wohl, er hatte eine Aufgabe und hoffte nicht einmal, dass jemand anders sie verstand.
Adil ließ die Seiten des Buches im Kopf ablaufen, bis er das Gesuchte fand. Am gekonntesten hatte der französische Philosoph Denis Diderot das Wesen der Genialität auf den Punkt gebracht: »Ich vermute, dass diese verschlossenen und schwermütigen Menschen den ungewöhnlichen, fast göttlichen Scharfblick, der bei ihnen zeitweilig zu bemerken ist und sie zu unsinnigen, dann auch wieder zu erhabenen Gedanken geführt hat, einzig und allein einer zeitweiligen Störung ihres Mechanismus zu verdanken haben … Wie nah Genie und Wahnsinn doch beieinanderliegen! Die einen legt man in Ketten, den anderen errichtet man Denkmäler.« In Ketten hatte man ihn schon gelegt, in Camp Bucca, und für seine künftige Heldentat, dachte Adil amüsiert, würde er auch ein Denkmal bekommen. Oder zumindest eines verdienen.
Es dauerte eine Weile, bis sich der Schlüssel in dem vereisten Schloss drehen ließ. Adil riss die Tür des Büros auf und wusste sofort, dass er den Ort gefunden hatte, wo das Recht siegen würde. Orange Farbflecken leuchteten auf dem bröckeligen Betonfußboden, hartnäckiger Dreck bedeckte die kleinen Fenster, und das Allerbeste war, dass der Raum stank wie eine verstopfte Kloake.
Ein durchdringendes Piepen unterbrach Adils Gedankenstrom. Er las die SMS auf seinem Handy. »Probleme im Osten! Ich fordere eine Erklärung, Maßnahmen und eine Lösung. Melde dich. U.«
Das Telefon glitt wieder in Adils Brusttasche. Umar, der Verantwortliche für die Operationen von Takfir wal Hijra in Europa, glaubte die PKK und ihn gekauft zu haben und wie Hunde kommandieren zu können.
Einen größeren Gefallen als Umars Vernichtung könnte man der Welt kaum tun, dachte Adil voller Stolz. Nach der Freilassung aus Camp Bucca hatte er seinen Auftrag, seine Berufung, Gestalt gewinnen lassen und dann im Kopf noch ein Jahr lang daran gefeilt, bevor er Umar aufgesucht hatte. Der war paranoid vorsichtig gewesen. Erst nach Monaten hatte man ihn in den engsten Kreis um Umar aufgenommen, obwohl er doch der Nachkomme einer mächtigen arabischen Familie war, den die britischen Eroberer gefoltert hatten.
Der Terroranschlag, den Umar plante, war in seiner Dreistigkeit ohne Beispiel. Der Mann war genau das Instrument, das Adil benötigte, um eine wahre Veränderung in Gang zu setzen.
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