Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
außer dem alten kupfernen Samowar, den man Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in Tula hergestellt hatte. Die einzige Erinnerung an ihre Familie war seitdem von Generation zu Generation weitervererbt worden.
Irina musste lachen, als sie daran dachte, dass Tang bald vor dem Richter stehen würde. Die Chinesen kannten für Landesverrat nur eine Strafe.
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Ketonen saß auf einer langen Bank im Bereitschaftsraum der zweiten unterirdischen Etage und aß gierig seine Portion Kartoffeln mit Wurst- und Fleischstücken, die unter einem Berg von Ketchup, Senf und Gurkensalat nur hier und da zu sehen waren. Seine Laune konnte kaum schlechter sein: Den ganzenAbend schon war die Presse hinter ihm her. Er hatte sich geweigert, irgendeine Erklärung zum Fall Inferno abzugeben, und fürchtete nun, damit einen Fehler begangen zu haben. Vielleicht würden die Journalisten aus Mangel an Informationen Geschichten erfinden, die ihre Ermittlungen noch mehr erschwerten. Aus der Führungsspitze der Polizei hatte niemand mehr angerufen, nachdem er den Innenminister über die von der Präsidentin erteilten Vollmachten unterrichtet hatte. Offensichtlich hatte der Minister den Abteilungsleiter Korpivaara informiert. Ketonen war überzeugt, dass er seinen Anruf bei der Präsidentin noch bereuen würde. Korpivaara nahm es ihm ganz sicher übel, dass er ihn übergangen hatte. Auch eine Nachricht, die eigentlich die beste an diesem Tag war, ärgerte ihn. Wrede hatte berichtet, dass sich bei Pauliina Laitakari ein starkes Motiv fand – Geld. Warum hatten sie das nicht schon früher herausgefunden? Wo klemmte es in der Organisation der SUPO? Wer zum Teufel schickte ihnen Nachrichten und belehrte sie bei der Arbeit, als wären sie Amateure? Oder führte man sie absichtlich in die falsche Richtung?
Wenigstens Ratamos Unschuld war endgültig Gewissheit geworden. Der Handschriftenspezialist hatte bestätigt, dass nicht Ratamo der Verfasser der vietnamesischen Notizen auf Protaschenkos Unterlagen war, sondern Bui Truong. Ketonen beschloss, sich keine Vorwürfe zu machen, weil er Ratamo fälschlicherweise verdächtigt hatte. In seiner Arbeit war er oft gezwungen, von Menschen das Schlimmste anzunehmen. Und außerdem hatte er sich ja schließlich doch entschieden, Ratamo zu vertrauen.
Ratamo zog über das T-Shirt und die Unterhosen einen dünnen feuerfesten Nomex-Overall und warf einen Blick auf die TAG-Heuer-Uhr, die zur Ausrüstung eines Einsatzkommandos gehörte – es war 21.22 Uhr. Riitta Kuurma schaute den Kuriermit ernster Miene an, und Ketonen erteilte ihm mit vollem Mund eine Menge Anweisungen für den Fall, dass Sterligow die Unterlagen entgegennahm, aber Tommila nicht freiließ.
Riitta Kuurma half Ratamo, die Bänder der kugelsicheren Kevlar-Weste zu befestigen. Sie war ihm so nahe, dass er ihren Duft wahrnahm. Er brachte die mit Keramikplatten verstärkten Knie- und Ellenbogenschützer an und zog dann seine Alltagskleidung darüber: Jeans und ein Baumwollhemd. Jetzt sah er ein wenig dicker aus als sonst. Riitta Kuurmas Anwesenheit beruhigte ihn.
Ein Stück von dem gegrillten Fleisch flog aus Ketonens Mund in die Styropor-Packung. »Ein verdammt zähes Rind. Als würde man eine Schuhsohle kauen.«
»Das Rindvieh lief gerade bergan, als es erschossen wurde. Der Gang ist noch drin«, witzelte Ratamo, aber seine Stimme verriet die Anspannung.
Riitta Kuurma war nicht zum Lachen zumute. Wenn die SUPO-Mitarbeiter Überstunden machten, holten sie sich meist Fast Food von Tuomas-Burger in der Iso-Roobertinkatu. Riitta hatte ihr Kontingent an vegetarischen Hamburgern jedoch schon lange aufgebraucht.
Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren machte sich Ratamo auf den Weg, um Informationen gegen einen entführten Menschen einzutauschen. Er hatte Angst. Beim ersten Mal war er wenigstens bewaffnet gewesen. Diesmal hätte er die Pistole sogar richtig benutzen können; zu seiner Überraschung war er auf der Polizeischule einer der besten Schützen seines Jahrgangs gewesen. Hätte Sterligow ihn und Nelli damals nach Erhalt der Informationen freigelassen oder hingerichtet? Würde er jetzt mit Tommila zusammen frei sein und gehen können, wenn er die Unterlagen übergab? Ratamo versuchte sich einzureden, dass die Situation diesmal ganz anders war alsim vorletzten Sommer. Er wusste nichts über Inferno, und es würde Sterligow nichts nützen, wenn er ihn umbrachte. Anders als Holm, die irgendwie in das Inferno-Verbrechen verwickelt war,
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