Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
nicht aufhörte, das Telefon abzuhören. Offensichtlich hatte man getan, was der Anrufer verlangte, denn beim nächsten Telefonat funktionierte alles reibungslos. Ratamo schloss daraus, dass sein erstes Auffangnetz nicht mehr existierte.
Weisungsgemäß saß Ratamo kurz in der Sauna, goss aber reichlich auf, und ging dann unter die Dusche. Warum hatte Ketonen ihn für den Auftrag ausgewählt und nicht einen erfahrenen alten Fuchs? Anscheinend war er der Köder, den man für Sterligow ausgeworfen hatte. Das Wasser floss über sein Gesicht wie die Letzte Ölung. Das Gefühl, ein für die Schlachtung vorbereitetes Opferlamm zu sein, setzte Adrenalin frei. Er musste den Auftrag dennoch ausführen, oder seine Karriere bei der SUPO wäre zerstört, noch bevor sie richtig angefangen hatte. Ganz zu schweigen von seinem Selbstwertgefühl. Andererseits kam es ihm so vor, als würde er Nelli verraten, wenn er sich in Lebensgefahr begab. Dann wurde ihm aber klar, dass er das Versprechen, sich um Nelli zu kümmern, gar nicht seiner Tochter gegeben hatte, sondern sich selbst.
Er war stolz auf seinen Auftrag, hatte Angst und machte sich Sorgen um Nelli. Jetzt musste er das tun, was er offensichtlich am besten konnte: Die Gefühle verdrängen und sich auf die Arbeit konzentrieren. Er drehte den Hahn auf. Das kalte Wasser sorgte für einen klaren Kopf.
Fünf Minuten später kehrte er in den Ankleideraum zurück, schob sich einen Priem unter die Oberlippe und trocknete sich schnell ab. Dann holte er aus der Brusttasche die Inferno-Unterlagen und hielt Riitta Kuurmas Rosenkranz in der Faust. Man hatte ihm klargemacht, dass er nichts mitnehmen durfte, was ihm gehörte. Vielleicht konnte er den Rosario doch behalten, wenn Sterligows Männer überprüften, dass er keinen Sender enthielt.
Er ließ das dicke Frotteehandtuch fallen. Dann schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass die Übergabeoperation Stunden dauern könnte. Rasch holte er aus seiner Hosentasche die Kautabakdose. Anschließend zog er schnell die viel zu großen Jeans, das Flanellhemd und die Segeltuchjacke an, die Sterligows Männer im Umkleideraum bereitgelegt hatten. Die Inferno-Unterlagen und den Rosario steckte er in die innere Jackentasche, die einen Reißverschluss hatte, und die Dose mit dem General-Kautabak in die Hosentasche.
Die Entführer Tommilas hatten jetzt alle Sender in seiner Bekleidung und auf seiner Haut eliminiert. Auch das zweite Netz, das ihn auffangen sollte, war weg.
49
Simo Tommila stapfte in Unterhosen auf dem stockdunklen Waldpfad durch den kniehohen Schnee. Nachdem er seine Arbeit im Internet erledigt hatte, war ihm eingefallen, dass er in der Nähe des Hauses vielleicht irgendein Fahrzeug finden könnte. Die Chance war gering, das wusste er, aber der Geier hatte ja nicht damit rechnen können, dass er sich aus dem Höllenstuhl befreite. Vielleicht gab es hier eine Garage oder einen Schuppen, vielleicht entdeckte er einen Motorschlitten, einFahrrad oder ein Moped. Seine Angst war so groß, dass er sie nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Selbst wenn der Geier nun glaubte, dass er nicht imstande wäre, ihm das Passwort zu geben, könnte er ihn trotzdem umbringen. Warum sollte er einen Zeugen am Leben lassen?
Der Frost betäubte den Körper und die Sinne. Tommila war froh, dass er seinen ekelhaften Gestank nicht mehr roch. Zum Glück waren durch die dünne Eisschicht auf dem Schnee seine Fußsohlen schon ganz gefühllos geworden. Der nackte Fuß ohne große Zehe hatte ihn am Anfang nur wenig behindert, jetzt wurde der Schmerz schon so heftig, dass er nach jedem Schritt einen Augenblick warten musste. Die Wirkung der Medikamente ließ nach. Er hatte Angst.
Tommila fühlte sich schlapp. Seit dem Mittag hatte er nichts mehr gegessen, zudem zehrten die Furcht und auch der Stress an seinen Kräften. Der Mond und die Sterne beleuchteten den Pfad nur von Zeit zu Zeit, wenn sich in dem dichten Wolkenvorhang eine Lücke auftat. Bis zur nächstgelegenen Straße und bis zu einem Ort, wo er in Sicherheit wäre, mussten es noch Kilometer sein.
Plötzlich sah er, wie der Lichtkegel eines Autos noch weit von ihm entfernt die völlige Dunkelheit durchbrach. Das Auto kam näher und blieb schließlich vor einem kleinen Schuppen stehen. War der Geier zurückgekehrt? Er hatte den Schmerz umsonst ertragen. Sollte er sich ducken und warten, bis der Geier in die Hütte ging, und dann zur Straße stürzen? Wie viel Zeit bliebe ihm, bis der Mann ihn
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