Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
auf Ketonens Schulter und schüttelte den Kopf. Der Chef schnaufte und warf Tommila aufs Bett. Riitta Kuurma mochte Ketonens Temperament: Der Mann geriet genauso in Rage wie ihr italienischer Onkel Claudio.
»Ich werde Strafanzeige gegen Sie erstatten«, sagte Tommila mit Nachdruck.
Ratamo brach in Gelächter aus. Das fehlte noch. Er konnte es nicht lassen, mit der Zunge an dem abgebrochenen Zahn herumzuspielen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, dass die vertrauten Kauwerkzeuge plötzlich ihre Form verändert hatten. Außerdem kitzelten die Stiche in der genähten Lippe. Der Stress und die Müdigkeit lasteten schwer auf ihm, und er musste wieder an den Moment denken, in dem er auf Sterligow geschossen hatte. Wenn es dem nun gelungen wäre, ihn mit seiner letzten Salve umzubringen? In dem Fall würde erjetzt nicht hier stehen und überlegen, ob es richtig gewesen war, zu schießen.
Ketonen hatte sich wieder beruhigt und trat erneut an das Bett heran. Jetzt log er und sagte, er werde dem Arzt mitteilen, dass Tommila zum Verhör in die Räume der SUPO verlegt werden müsste.
Das Verhalten des jungen Mannes änderte sich. »Der Geier hat irgendjemanden angerufen, den er ›Hund‹ nannte. Von dem hat er sich das Passwort für den Einbruch bei Wiremoney besorgt.«
»Wenn du mit Geier deinen toten Entführer meinst, dann hieß der Igor Sterligow«, entgegnete Ketonen in scharfem Ton und befahl Tommila, genau zu berichten, was sich ereignet hatte, obwohl er sicher war, dass der junge Mann ihnen Lügen auftischen würde.
Sterligow habe die Hütte erneut verlassen, nachdem er seinen Helfern das Passwort gebracht hatte, sagte Tommila. Danach hätten die Russen über eine Stunde am Computer im Keller gearbeitet. Er nehme an, dass sie wahrscheinlich Zahlungsanweisungen in Wiremoney vorgenommen hatten. Die Männer seien gegangen, kurz bevor Ratamo in den Keller gebracht wurde.
Beinahe wäre ein Lächeln über sein Gesicht gehuscht. Er fand seine Geschichte genial. Alles war ihm perfekt gelungen. Ob die SUPO-Mitarbeiter seine Geschichte glaubten, interessierte ihn nicht. Niemand könnte beweisen, dass er log oder die Zahlungsanweisungen ausgeführt hatte. Der Geier war tot, und seine Helfer hatten das Land hoffentlich schon verlassen. Auf der Tastatur des Computers befanden sich ganz sicher auch noch andere Fingerabdrücke als seine und die von Sterligow: Der Geier hatte nicht den Eindruck gemacht, als wäre er für die Computerinstallationen seiner Organisation zuständig.
»Du lügst wie ein des Dopings Verdächtigter. Warum zumTeufel hätte Sterligow die Dokumente der SUPO haben wollen, wenn er die Bank schon ausgeraubt hatte?«, fragte Ketonen, um Tommila unter Druck zu setzen.
»Der wollte von der SUPO nur eins: Ratamo. Immer wieder hat er gesagt: Den verdammten Kerl bringe ich um.« Tommila verzog das Gesicht, als sein Zehenstumpf schmerzte.
Ketonen war sicher, dass Tommila log. Der eingebildete Jüngling hatte die ideale Gelegenheit gehabt, gleichzeitig mit der E-Mail an die SUPO auch die Zahlungsanweisungen abzuschicken. Außerdem glaubte Ketonen nicht, dass Sterligow die Operation, bei der es um Millionen ging, in Gefahr gebracht hätte, nur um sich zu rächen. Sterligow war ein brutaler Mörder, aber dumm war er nicht. Der Russe hatte anderthalb Jahre lang nicht versucht, Ratamo ausfindig zu machen. Sicher hätte er auch noch ein paar Monate warten können, um sich dann in aller Ruhe zu rächen.
Ketonen holte die Zigaretten aus der Tasche und wollte sich schon eine Nortti anstecken, als ihm klar wurde, dass er sich im Krankenhaus befand. Er musste sich eingestehen, dass Tommila intelligent war. Die SUPO hatte keinen anderen Beweis für seine Schuld als den Namen eines Dackels. Der wäre vor Gericht nicht viel wert.
Ein Lächeln spielte um Tommilas Lippen, als er Ketonen anschaute.
Beide wussten, wer die Zahlungsanweisungen vorgenommen hatte.
56
Jussi Ketonen hatte einen Eimer Kaffee getrunken und so viele Zigaretten geraucht, dass er mit den Füßen trampelte wie ein nervöses Rennpferd vor dem Start. Ein paar Stunden hatte erauf dem Sofa in seinem Arbeitszimmer geschlafen, und nun schmerzte sein Rücken so sehr, wie seit Monaten nicht. Den größten Teil der Nacht hatte er jedoch am Telefon verbracht. Die Präsidentin hatte hören wollen, was in Nurmijärvi geschehen war, und ihn gebeten, den Innenminister und den Abteilungsleiter für Polizei zu informieren.
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