Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Fall Inferno. Die anfängliche Begeisterung, an den Ermittlungen in einem so bedeutenden Industriespionagefall beteiligt zu sein, war längst verflogen. Nach der Besprechung am Nachmittag hatte er sehr schnell verstanden, dass Ketonen ihn ausnutzte. In dem vietnamesischen Satz auf den Dokumenten von DataNorth wurde nur ziemlich knapp festgestellt, dass die Unterlagen echt waren. Niemand konnte aus dem Text etwas über seinen Verfasser ableiten. Das musste Ketonen gewusst haben. Er hatte ihn nur in die Ermittlungen einbezogen, weil Himoaalto auf der Liste der Verdächtigen stand.
Und wenn es nun Timo war, der die Daten an Protaschenko weitergegeben hatte? Konnte es sein, dass die Informationsrevolution und das Geld den Realitätssinn seines Freundes so sehr getrübt hatten wie den vieler anderer auch? Ratamo fand es unfassbar, dass ein ganzes Volk in Verzückung geriet, weil es nun leichter war, Informationen zu übertragen und zu gewinnen. Jetzt sollte alles effizient sein. Man musste Zeit sparen. Die gesparte Zeit wurde dann wieder effizient genutzt, und so sparte man noch mehr Zeit. Mitten in all der Effizienz und Zeitersparnis vergaßen viele zu leben. Verbindung zu anderen hielt man über Maschinen, die Menschen entfremdeten sich voneinander. Für ihn war es kein Wunder, dass psychische und Drogenprobleme explosionsartig zugenommen hatten.
Ratamo wollte seinen besten Freund nicht verlieren. Er war es zwar gewöhnt, sich auf eigene Faust durchzuschlagen, und brauchte auch keinen großen Kreis von flüchtigen Bekannten, aber seine wenigen Freunde wollte er behalten. Nach Kaisas Tod hatte er am eigenen Leib erfahren, dass niemand ganz allein zurechtkam. Ratamo fiel ein, dass er schon seit einer Ewigkeit außer Himoaalto und seiner ehemaligen Kollegin Liisa keinen seiner Freunde getroffen hatte. Zu allem Überfluss plagte ihn ein schlechtes Gewissen, weil er Nelli zu Marketta gebracht hatte, wo sie übernachten sollte. Und Sorgen bereitete ihm auch, was wohl sein Vater bei Omas Begräbnis in zwei Tagen sagen würde.
War er nicht mehr fähig, abzuschalten und sich zu entspannen? Er beschloss, sich noch ein Glas Rotwein zu holen, als die Zuschauer aus vollem Halse zu brüllen anfingen. Auf dem JumboTron, der riesigen Anzeigetafel, wurde gemessen, wie viele Dezibel das Publikum zustande brachte.
Ratamo stand schwankend auf und steuerte den Imbissraum an, in dem ein Edelholztisch reichlich mit Snacks und Getränken gedeckt war. Meri knabberte gerade an einer Hühnerkeule und schaute ihn fröhlich an. Ratamo lächelte zurück, verwünschte sich aber, weil er zuließ, dass sich ihre Beziehung so weit entwickelt hatte.
Ein Lichtblick an diesem Abend war der Rotwein, ein Chorey Les Beaune, ein Bourgogne-Wein, wenn auch nicht aus seinem Lieblingsanbaugebiet, der Côte de Nuits. Ratamo war ungewollt zum Weinliebhaber geworden, als er bei den Partys seiner verstorbenen Frau die Rolle des Mundschenks gespielt und allmählich gelernt hatte, guten Rotwein zu genießen. Er goss sich an diesem Abend schon das sechste oder siebente Glas ein, obwohl er sehr wohl wusste, dass er schon allzu betrunken war.
Ratamo setzte sich auf einen Barhocker, schob sich verstohlen zwei Prieme unter die Oberlippe und versuchte sich nicht auf Gespräche mit den schon reichlich angeheiterten Fortum-Leuten einzulassen. Small Talk mochte er so sehr wie Schlangenbisse. Wohl oder übel musste er aber mit anhören, wie jemand von seinen Abenteuern im Trubel der internationalen Finanzwelt erzählte. Die überschwänglich positive Einstellung zum Business regte ihn auf. Allen schien es so verdammt gutzugehen, dass man denken konnte, die Armut, die er im Sommer in Vietnam gesehen hatte, wäre nur eine Szene aus irgendeinem französischen Film.
Er hatte sein Glas gerade zur Hälfte geleert, da vibrierte sein Handy am Schenkel. Ihm wäre beinahe der Rotwein aus dem Mund gespritzt, als Riitta Kuurma ihn ganz seelenruhig fragte, ob ihr Anruf ungelegen käme. Plötzlich heulten die Sirenen als Zeichen dafür, dass ein Tor gefallen war. Der Lärm wurde so laut, dass Ratamo die Loge verließ und mit dem Weinglas in der Hand auf den Gang hinaus trat.
»Ich bin bei einem Eishockeyspiel, aber ich kann natürlich trotzdem reden.«
»Da wir jetzt in derselben Ermittlungsgruppe sind, wäre es gut, wenn wir uns mal treffen könnten. Um uns über das, was gewesen ist, auszusprechen«, schlug Riitta vor.
»Also heute passt es wirklich nicht«, brachte Ratamo mühsam
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