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Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)

Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)

Titel: Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Edelholzmöbeln ragten zwei Palmen einsam in die Höhe.
    Holm ging zum Schalter des Angestellten, der für die Schließfächer verantwortlich war, und nannte den Namen Anna Tohkeinen. Dabei konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die SUPO besaß für Einsätze mit verdeckter Identität gefälschte Pässe. Die Namen der SUPO-Ermittler waren allen Nachrichtendiensten bekannt, sie hätten sich also verraten, wenn sie unter ihrem eigenen Namen reisten. Die Passagierdaten aller kommerziellen Fluggesellschaften befanden sich im internationalen Flugbuchungssystem.
    Der gutaussehende junge Mann schaute auf den Pass und die unauffällige junge Frau, nahm eine Unterschriftprobe und begleitete Holm zu einer Glastür, die aufging, als er einen sechsstelligen Code eintippte. In der Halle wurde die linke Hand der Kundin gescannt. Dann öffnete sich langsam die gepanzerte Tür, und sie betraten den Tresor.
    Am Ohrläppchen des Bankangestellten hing ein dicker goldener Ring. Holm wunderte sich, dass der Mann in einer erzkonservativen Schweizer Bank einen Ohrschmuck tragen durfte. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie sich an ein Bonmot ihrer Freundin Saara erinnerte: »Ohrringträger werden gute Ehemänner: Sie kennen den Schmerz und wissen, wie man Schmuck kauft.«
    Der Angestellte und Holm drehten gleichzeitig ihre Schlüssel in den beiden Schlössern des Schließfachs Nummer 976 um. Der Mann zog den Metallkasten aus der langen Reihe von Hunderten Fächern heraus, begleitete Holm in die Kabine und schloss die Tür ab, als er den Raum verließ. Holm zählte das Geld, obwohl sie wusste, dass alle neunzigtausend Dollar noch vorhanden waren. Das entsprach etwa einer halben Million Finnmark, und damit würde sie, wenn es sein musste, in irgendeinem Entwicklungsland gut leben können, bis sie sich eine neue Identität geschaffen hatte. Mit ihren Computerkenntnissen wäre dasmöglich. Es dürfte auch kein Problem sein, Arbeit zu bekommen: Die IT-Branche kannte keine Ländergrenzen. Doch dann musste sie wieder an ihre Eltern und Alina und deren Familie denken. Was würde man ihnen sagen? Sofort geriet sie wieder in Panik, ihr Herz hämmerte, obwohl sie einen Beta-Blocker genommen hatte. Sie stopfte die gebündelten Scheine in ihre Handtasche und drückte auf einen im Türrahmen versenkten Knopf, um den Angestellten zu rufen.
    Die Visite in der Bank war überraschend schnell verlaufen. Ihr blieb noch reichlich Zeit, Mittag zu essen. Das Wetter war nach dem Schneetreiben und dem eisigen Wind in Finnland so schön, dass sie beschloss, einen Spaziergang zu machen. Sie konnte ohne Beschwerden atmen; es tat gut, wenn man keinen Asthmaanfall zu befürchten brauchte. Auf der Bahnhofstraße lief sie bis ans Ufer des Zürichsees. Doch dann kehrte sie um, weil ihr einfiel, dass es dort keine Restaurants gab. Sie spazierte etwa zweihundert Meter am Ufer der Limmat entlang, überquerte die Münster-Brücke und ging dann weiter in Richtung Bahnhof.
    Anna-Kaisa Holm erkannte den roten Hund, der an die weiße Wand eines alten Hauses gemalt war, und bog in eine kleine Gasse mit vielen Restaurants ein. Mitten in der Ankengasse fand sich ein Lokal, das einen gemütlichen Eindruck machte. Das »Taffelschoffel« war mit modernen Holzmöbeln ausgestattet. Sie ging am langen Bartresen vorbei in den hinteren Teil des Restaurants und setzte sich an einen ruhigen Tisch.
    Auf der Speisekarte mit vielen verschiedenen Schnitzelgerichten fand sich überraschend auch eine preiswerte Vorspeise. Ganz gegen ihre Gewohnheit bestellte sie einen Drink, einen Gin Tonic. Sie kostete ihn und spürte, wie sie sich endlich entspannte, als die Wärme sich vom Magen bis in die Muskeln ausbreitete.
    Sie fuhr zusammen, als ihr jemand einen Stadtplan direkt vor die Nase hielt und mit tiefer Stimme und in schlechtem Deutsch fragte, wo das Hauptgebäude der ETH liege. Sie schob den Stadtplan weiter weg und antwortete auf Englisch, sie sei selbst Touristin und könne deshalb leider nicht helfen.
    Der Mann erklärte, die ETH sei die Technische Universität von Zürich. Er sah eigenartig aus. Sein Haar war pechschwarz und das hohlwangige Gesicht gerötet. Der purpurne Fleck, der links vom Kiefer bis zum Hals reichte, weckte ihr Mitgefühl. Wodurch mochte diese Narbe entstanden sein? Anna-Kaisa Holm wollte nicht sagen, dass sie Diplom-Ingenieurin war. Sie hatte das Gefühl, den Mann früher schon einmal gesehen zu haben. Oder kam ihr an der tiefen Stimme etwas vertraut vor?

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