Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Nickerchen zu machen. Jetzt fühlte er sich wieder einigermaßen fit und wollte sich in das Inferno-Problem vertiefen.
Zweimal hielt Murray an Sicherheitskontrollen an und parkte dann seinen Stratus auf einem mit seinem Namen versehenen Stellplatz vor dem Hauptgebäude. Fort Meade war ein riesiges Gelände, fast so groß wie das Pentagon. Neben den zwanzigtausend NSA-Angestellten arbeitete hier noch einmal die gleiche Zahl von Kommunikationsfachleuten der Armee und der staatlichen Behörden. Die NSA war im Zuge der Revolution in der Informationstechnologie seit Ende der achtziger Jahre angeschwollen wie die Leber eines Säufers. Sie beschäftigte zweiundvierzigtausend Mitarbeiter, und ihr Jahresbudget wurde in Milliarden Dollar angegeben.
Murray steckte seine Zugangskarte in das Lesegerät am Haupteingang des Headquarters Building und tippte die Kennung ein. Er begrüßte die Wachposten im Foyer, drei bewaffnete Agenten, und rannte zum Fahrstuhl, dessen Tür sich gerade schloss.
In der fünften Etage saßen die Direktoren, Abteilungsleiter und Special Agents der verschiedenen Bereiche von SIGINT, der elektronischen Aufklärung. SIGINT war für die Sicherheit der elektronischen Dateien und der elektronischen Kommunikation der US-Verwaltung und der Armee verantwortlich und analysierte außerdem den ausländischen Nachrichtenverkehr. SIGINT gliederte sich in drei Hauptabteilungen, in der wichtigsten von ihnen, in COMINT, arbeitete Murray. COMINT sammelte und verarbeitete jene ausländische Kommunikation, die auf der Basis elektromagnetischer Verfahren erfolgte. Die von Murray geleitete Gruppe A kümmerte sich um die Überwachung der osteuropäischen Staaten.
Murrays Gruppe nahm ihre Arbeit äußerst ernst. Bei der NSA glaubte man, dass der dritte Weltkrieg in den Datennetzen geführt werden würde. Das Funktionieren der Streitkräfte, der Energieunternehmen, der Kommunikationsverbindungen, der Banken, des öffentlichen Personenverkehrs, des Rettungswesens und der Alarmsysteme beruhte auf elektronischen Datensystemen. Wurden sie lahmgelegt, war das Land nicht mehr verteidigungsfähig. Und dabei handelte es sich nicht um irgendeine vage Bedrohung: Das Pentagon hatte man schon viele Male attackiert. Die Gefahr des Computerterrorismus war real und lauerte ständig und überall in der Gesellschaft. In den Kampf gegen diese Bedrohung waren in den letzten Jahren staatliche Mittel in Milliardenhöhe geflossen.
Sein Sekretär stichelte ihn, weil er unausgeschlafen aussah, und Murray bat ihn, einen Kaffee zu holen. Erstaunlicherweise war er nicht zu einem natürlichen und ungezwungenen Verhalten gegenüber dem Mann fähig, den die Personalabteilung kürzlich für ihn eingestellt hatte.
Der neueste Inferno-Bericht wartete auf seinem Schreibtisch. Murray las ihn sofort, und man sah ihm die Enttäuschungan. Es war eine Schande, dass die NSA nicht herausgefunden hatte, in welchem Unternehmen die Hintertür zum Inferno versteckt war. Wenn sie das wüssten, verlöre der Fall seine Dringlichkeit. Man könnte das betroffene Unternehmen warnen und die Schuldigen in aller Ruhe suchen.
Er war sich schmerzlich bewusst, wie wichtig die Aufklärung des Falls für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten war. Zahlreiche amerikanische Unternehmen, von den Banken bis zu den wichtigen Konzernen, die Komponenten der Rüstungs- und Elektronikindustrie herstellten, nutzten Inferno. Man konnte die Programme nicht einfach alle sicherheitshalber schließen, zu viele Unternehmen, vielleicht auch einige für die Landesverteidigung notwendige Systeme, würden dadurch lahmgelegt. Seiner Ansicht nach könnte das Ziel der Diebe sehr wohl ein großes amerikanisches Unternehmen sein, denn dort war ja schließlich mit die größte Beute zu holen. Ein gelungener Datendiebstahl könnte zu einer Katastrophe führen: In der Entwicklung der Informationstechnologie käme es möglicherweise zum Stillstand, bis zuverlässigere Verschlüsselungssysteme gefunden wären, und die Wirtschaft der USA geriete in noch größere Schwierigkeiten. Die Sachkenntnis der NSA würde in Frage gestellt werden. Und die Taskforce des FBI für Computerstraftaten erhielte vielleicht künftig auf Kosten der NSA mehr Befugnisse. Es war sicher, dass im selben Moment, in dem das Inferno irgendeines amerikanischen Unternehmens geknackt wurde, auch die Sprossen seiner Karriereleiter zerbrechen würden.
Der Sekretär brachte den Kaffee und einen Donut, und Murray dankte mürrisch.
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