Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Einkünfte haben würde wie sein Schwager, ein Geschäftsmann. Wrede verdrängte das Bild vom BMW-Kombi seines Schwagers und konzentrierte sich auf Ratamo. Der Neue war sympathisch – vielleicht zu sympathisch. Seiner Ansicht nach konnte es kein Zufall sein, dass Ratamo und Aalto befreundet waren und zu den Verdächtigen gehörten. Er würdesein Bestes tun, um die Männer zu enttarnen. Und dabei würde gleichzeitig ein potentieller neuer Konkurrent eliminiert.
Wrede drückte auf die Spülung und betrat den Flur. Die Küchentür war immer noch zu. Er schaute sich im Wohnzimmer um: Die Einrichtung war die eigenartigste, die er seit seiner Studentenzeit gesehen hatte. Kein einziger Gegenstand schien zu irgendeinem anderen zu passen. Er musste sich allerdings eingestehen, dass die meisten Möbelstücke äußerst bequem wirkten.
Auf der anderen Seite des Wohnzimmers standen ein kleiner Schreibtisch und ein großes Bücherregal. Wrede trat vor das Regal und betrachtete die chaotisch auf und zwischen die Bücher gestopften Zettel und Seiten. Auf Tolstois vierteiligem »Krieg und Frieden« lag ein Stapel karierter Blätter mit handgeschriebenen Notizen, die so aussahen, als könnte es Vietnamesisch sein. Rasch nahm er einige Seiten, faltete sie zusammen und steckte sie ein. Ratamo würde wohl kaum ein paar lose Blätter vermissen. Er hatte seinen Auftrag erfüllt und kehrte in die Küche zurück.
Als die Pasta gar war und der alte Bauerntisch gedeckt, holte Ratamo Nelli zum Essen. Das Mädchen war mittlerweile aufgelebt, die Gefahr einer Grippe hatte sich verflüchtigt. Ratamo fragte, ob Wrede Rotwein trinken wolle. Er öffnete die Tür seines Weintemperierschrankes und fluchte innerlich: Sein einziger Wein war ein Les Cailles. Der kostete im Alko knapp dreihundert. Allerdings hatte er den Wein für einen Spottpreis auf dem Saigoner Ho-Chi-Minh-Flughafen gekauft. Vietnam war das einzige Land in Südostasien mit einer Weinkultur. Die französischen Kolonialherren hatten sie seinerzeit eingeführt. Es ärgerte ihn, dass er den Nektar jetzt nicht kosten konnte, weil sie abends ein paar Runden laufen wollten. Doch dann wurde ihm klar, dass er die Flasche mit Aalto zusammen nach demSaunabier leeren könnte, wenn Wrede nur ein oder zwei Gläser trank.
Schon bald saß das Trio am Tisch und stopfte sich die Pasta in den Mund, als wäre zu befürchten, dass sie sich vom Teller schlängelte und verschwand. Im uralten Küchenradio erklang ein flotter Hit. Während des Essens gelangte Ratamo zu der Überzeugung, dass Wrede Humor besaß und es ausgezeichnet verstand, andere zu unterhalten. Ein Mann in der Position des stellvertretenden SUPO-Chefs hätte ein Streber und Wichtigtuer sein können, Wrede jedoch stellte interessiert Fragen und ließ ihn reden. Die Vietnam-Verbindung bei dem Fall Inferno und die Tatsache, dass sein guter Freund auch Gegenstand der Ermittlungen war, boten ihnen reichlich Gesprächsstoff.
Erst erzählte Ratamo alles Mögliche von dem Jahr, das er in Vietnam verbracht hatte, vom Schattenboxen
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und von seiner und Nellis Vietnamreise im letzten Sommer. Wegen ihr ließ er seine Freundin Hoang aus Hanoi unerwähnt. Dann lobte er Timo Aalto. Er kenne den Mann, seit sie beide von der Mutterbrust entwöhnt worden waren. Er wollte schon darüber reden, wie sich Aalto in der letzten Zeit verändert hatte, beschloss dann aber, lieber zu schweigen. Wrede hätte es sicherlich geschätzt, wenn er sich ihm anvertraute, aber er wollte nichts Schlechtes über seinen Freund sagen. Und außerdem hatten die Privatangelegenheiten Himoaaltos nichts mit den Ermittlungen wegen einer Straftat zu tun, sagte sich Ratamo und gönnte sich als Nachtisch zwei Prieme.
Nelli rieb sich den Bauch. »Ich bin so voll, dass ich gleich platze.«
23
Special Agent Jeff Murray schaute müde auf den Wegweiser aus Marmor, als sein blauer Dodge Stratus die Kreuzung von Canine Road und Route 32 überquerte. Er erinnerte sich daran, wie man die Steinplatte 1991 vor dem Besuch von Präsident George Bush dem Klügeren im Hauptquartier der NSA in Fort George G. Meade aufgestellt hatte. Es nieselte und war immer noch ziemlich dunkel, obwohl es schon zehn Uhr am Vormittag war. Der Winter im Bundesstaat Maryland galt als der feuchteste seit Menschengedenken.
Murray wurde von Sodbrennen geplagt. Er hatte die ganze Nacht Kaffee getrunken und gearbeitet. Am frühen Morgen war er dann kurz nach Hause gefahren, um zu duschen und ein
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