Finnisches Requiem
Terroranschlag von New York hatten die EU-Staaten mehr als großzügig zusätzliche Mittel in die Polizei, die Sicherheits- und Nachrichtendienste und die Terrorbekämpfung gesteckt. Der Apparat der Gesetzeshüter war gut geölt und befand sich in einem bisher nicht gekannten Zustand. Dessenungeachtet mußte er Jugović, seinem Chef, gehorchen und die Morde an den Kommissaren fortsetzen.
Drina fielen ein paar Haare ins Gesicht. Er öffnete seinen Pferdeschwanz, spannte den Gummi neu und band das Haar straff zusammen. Die langen Haare hätten sein verunstaltetes Ohr verdeckt, aber er trug einen Pferdeschwanz, weil Jugović irgendwann auf die Idee gekommen war, ihn Alice Cooper zu nennen. Bei jedem anderen hätte er sofort geschossen.
Es fiel ihm schwer, an den Motiven seines Chefs zu zweifeln. Was ihn und Jugović verband, war das Vertrauen unter Waffenbrüdern, die dem Feind gemeinsam gegenübergestanden hatten. Etwas Stärkeres gab es nicht. Aber dennoch quälten ihn Zweifel. Es war schwierig, zu verstehen, warum Jugović ihn zu diesem Wahnsinn zwang. Was ließ den Serben glauben, daß er mit vier politischen Attentaten den EU-Beitritt Ungarns verhindern und die Zukunft von »Krešatik« sichern könnte? Warum erzählte man ihm nichts vom Hintergrund der Operation? Und warum durften die anderen Führer von »Krešatik« nichts davon wissen; Jugović hatte ihn beschworen, die Morde für sich zu behalten, obwohl es innerhalb der Organisation üblich war, über alle großen Unternehmungen im Rat der Führer zu entscheiden. Drina hatte allen Grund, nervös zu sein: »Krešatik« bestrafte Abtrünnige mit dem Tode.
Hielt ihn der Serbe für dumm oder unzuverlässig? Hatte er ein anderes Motiv, als er behauptete? Warum wurden die Morde an den Kommissaren nicht zusammen mit den anderen Mafia-Organisationen Budapests ausgeführt? DieUmsetzung des Plans kostete Millionen, das Endergebnis war unsicher, und alle kriminellen Organisationen würden in gleicher Weise davon profitieren, wenn das Vorhaben gelang.
»Jó reggelt«,
sagte sein nächtlicher Gast unsicher. Die junge Frau stand angezogen in der Tür des Arbeitszimmers, hustete leise und schaute den nackten Mann fragend an.
Sie war also eine Ungarin, stellte Drina überrascht fest. Er bestellte ein Taxi, gab der Frau fünftausend Forint und überlegte einen Augenblick, ob er sie um ihre Telefonnummer bitten sollte. Sonst benutzte er keine Frau ein zweites Mal, aber jetzt war er nahe daran, eine Ausnahme zu machen. So ein Schmuckstück hätte er in Finnland nie und nimmer flachlegen können, selbst wenn er nicht in den Hagel von Granatsplittern geraten wäre. Drina nahm eine Zigarette aus der Schachtel, als er hörte, daß die junge Frau die Haustür schloß.
Dann ging er zwischen dem Baywatch-Flipper und dem Billard-Tisch hindurch ins Wohnzimmer. Die Auslegware fühlte sich unter den nackten Fußsohlen warm an. Er ließ sich aufs Sofa fallen und schaltete den riesigen Breitwandfernseher ein: Die Nachrichten fingen gleich an.
Am meisten Sorgen bereitete es Drina, daß Jugović ihn die Morde allein organisieren ließ. Er könnte nicht beweisen, daß andere »Krešatik«-Mitglieder von den Morden wußten. Selbst Jugović wäre nichts nachzuweisen. Das Exekutionskommando bekam seine Befehle ausschließlich von ihm, von Drina. Es war, als läge er auf dem Präsentierteller. Und Pastor auch.
Die Sache mit dem Farbspray brachte ihn auf die Palme. Sein Verdacht, der Mann könnte durchdrehen, hatte sich bewahrheitet. Es war idiotisch und unprofessionell, einen Hinweis zu hinterlassen. So etwas würde künftig nicht mehr geduldet. Jedes am Tatort zurückgelassene Beweisstück wargefährlich. Außerdem sollte Pastor in Sevilla die Killer nur unterstützen. Was zum Teufel bedeutete »HINTA«? Dieser verdammte Fanatiker!
Mußte er Pastor aus dem Exekutionskommando hinauswerfen? Oder sollte er versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen? Vielleicht sollte er dem Freund von seinen Zweifeln gegenüber Jugović erzählen. Mit Pastors Intelligenz ließe sich möglicherweise auch dieses Problem lösen. Es konnte doch sein, daß Pastor die Absichten von Jugović durchschaute.
12
Der Techniker von der Abteilung für Informationsmanagement der SUPO strauchelte auf der Leiter, versuchte sich an den Kabeln, die an der Decke hingen, festzuhalten und fiel herunter. Er landete rücklings auf dem Fußboden im Informationssaal des Ständehauses. Loser Putz aus dem Inneren der Deckenverschalung
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