Finnisches Requiem
…« Die Indizien würden jedoch nicht viel nützen, solange man sie nicht mit irgendeinem Verdächtigen in Verbindung bringen konnte.
»… und die Liste der Verdächtigen, die du versprochen hast?« Ketonen starrte Wrede mit entschlossener Miene an.
Die Liste sei fertig, antwortete Wrede, sie würde aber bei den Ermittlungen nicht weiterhelfen. Keine einzige ausländische Polizei- oder Sicherheitsbehörde habe Beweise gegen einen der Verdächtigen auf der Liste gefunden. Er hingegen sei fündig geworden.
»Ich habe jemand aufgespürt, der höchst verdächtig ist«, sagte Wrede in feierlichem Ton.
»Schwarzenegger hat ein Alibi«, warf Ratamo ein, aber niemand lachte über seinen Scherz.
Wrede genoß die erwartungsvollen Blicke. »Demonstranten haben vorige Nacht einen Anschlag auf eine Filiale der größten spanischen Bank in Sevilla, der Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, verübt«, berichtete Wrede. Sie wurde vollkommen zerstört, genau wie das Parterre der Gebäude in der Calle Granada, auf einer Länge von etwa zwanzig Metern. Offensichtlich konnten die Demonstranten ihre Brandsätze mit Napalm nicht richtig dosieren.
»Woher bekommen die Demonstranten Napalm?« fragte Kuurma erschrocken.
»Seife und Benzin kann man überall kaufen.« Wrede schaute Kuurma einen Moment geringschätzig an und fuhr dann in seinem Bericht fort. »Der Anschlag trägt die Handschrift der Neoradikalen vom ›Global Block‹, obwohl die OECD-Konferenz in Sevilla gar nicht auf der Anschlagliste ihrer Organisation stand. Der CNI hat bestätigt, daß einige Leute vom ›Global Block‹ in der Stadt Quartier bezogen haben.«
»Und wer zum Henker ist der Verdächtige?« brüllte Ketonen.
»Ismo Varis ist wahrscheinlich in Sevilla«, erwiderte der Rotschopf laut. »Die Sicherheitsabteilung hat vor einer Stunde herausgefunden, daß Varis am Samstagabend von Tallinn über Brüssel nach Malaga geflogen ist.« Wrede genoß die Aufmerksamkeit seiner Kollegen in vollen Zügen und erklärte, Varis habe den Anschlag auf die Banco Bilbao alsAblenkungsmanöver für den Mord an dem Kommissar organisiert. Der Schotte hatte Ismo Varis sowohl in Finnland als auch mit Hilfe von Interpol in der ganzen Welt zur Fahndung ausgeschrieben.
»Hm«, brummte Ketonen. In der Regel freute er sich, wenn ein Hauptverdächtiger gefunden wurde. Jetzt aber brauchte er erst einmal etwas Zeit, um ohne Medien und Telefone in Ruhe nachdenken zu können. Unter der Oberfläche der Ermittlungen lag irgend etwas verborgen, das er nicht zu fassen bekam. Oder bildete er sich das nur ein?
Er fürchtete, das Ganze nicht mehr im Griff zu haben. Die Welt änderte sich mit Lichtgeschwindigkeit. Man konnte sich auf nichts mehr verlassen. Selbst im Apparat der SUPO hatte sich Anfang des Jahres ein Verräter gefunden: Anna-Kaisa Holm, die Chefin der Abteilung für Informationsmanagement, war in das Verbrechen verwickelt gewesen, das mit dem Verschlüsselungsprogramm »Inferno« zusammenhing.
»Holt Varis und bringt ihn in die Zelle.« Ketonen schlug sich auf die Oberschenkel, stand auf und verließ den Informationssaal. Er hatte beschlossen, zum Mittagessen nach Hause zu gehen, da er nun mal in Kruununhaka war. Er wohnte nur etwa hundert Meter entfernt in der Mariankatu. Der Arzt hatte ihm kürzlich verboten, Eier zu essen, weil seine Cholesterinwerte bis in die Wolken gestiegen waren. Heute würde er sich ein Omelett aus fünf Eiern in Butter braten und mit Schinken, Salami, Käse, Ketchup und einer Handvoll Salz würzen. Omelett war so ziemlich das einzige, was er zubereiten konnte.
Kuurma und Ratamo packten ihre Unterlagen ein. Sie interpretierten Ketonens Abgang so, als hätte der Chef die Besprechung beendet. Das gefiel Wrede nicht. Noch vorgestern hatte Ketonen ihm praktisch die Verantwortung für dieErmittlungen übertragen, aber heute dirigierte der Alte das Orchester wieder im bisherigen Stil. Wie ließe sich seine Pensionierung beschleunigen?
13
Hannele Taskinen schaltete den Fernseher aus. Der elektrisch geladene Staub auf dem Bildschirm knisterte. Wieder ein Mord an einem Kommissar. Diesmal in Sevilla. Das konnte kein Zufall sein. Die Beklemmung erfaßte allmählich ihren ganzen Körper, ihr Kopf wurde heiß.
Nach seinem Verschwinden im Frühsommer hatte Pastor dann und wann angerufen. Im Juli änderte sich schlagartig der Ton der Telefongespräche: Pastor redete nun ständig voller Enthusiasmus von seinem Freund in Budapest, von irgendeiner Organisation namens
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