Finns Welt - 02 - Finn reloaded
hat. Der Haufen schwerer Steine auf meinem Herzen ist zwar noch nicht abtransportiert, aber der Bagger ist schon mal vorgefahren. So könnte es wirklich gewesen sein. »Jetzt muss sein Haus nur noch wirklich eine Baustelle haben«, sage ich.
Flo antwortet dadurch, dass er in die Pedale tritt.
Wir erreichen Heiners Mietshaus. Was ich sehe, sorgt dafür, dass mein Herzensbagger den Motor anlässt und die ersten Steine wegschaufelt. Vor dem Haus steht der VW-Bus einer Klempnerfirma mit einem Reifenpaar auf dem Bordstein. Männer in blauen Latzhosen tragen Werkzeugkisten durch die Haustür, die mit einem Holzkeil aufgehalten wird. Im Vorgarten steht ein großer Container für Schutt. Steine und Fliesen segeln aus den offenen Fenstern hinein. Es plärren Radios. Das ganze Haus wird renoviert. Wir stellen die Räder ab und gehen zur Haustür.
Ein Arbeiter ruft: »Das ist eine Baustelle. Kinder verboten.« Ich sehe mir den Mann schnell und gründlich an, um zu entscheiden, was sich machen lässt. Er ist um die fünfzig und hat Kratzspuren am Unterarm und an den Händen. Auf seinem Blaumann steht sein Name, Dietmar Holtschulte, eingestickt mit blauem Faden auf weißem Grund. Lange Haare wachsen ihm aus Nase und Ohren. Aus seinen Arbeiterschuhen ragen Socken mit dem Aufdruck des 1. FC Köln. Das heißt: Er lebt zusammen mit einer Katze und hat wahrscheinlich keine Frau, denn Frauen lassen nicht zu, dass die Haare in der Nase länger werden als die auf dem Kopf. Und vor allem erlauben sie keine Fußballsocken. Oder er hat eine Frau, doch es ist ihm egal, was sie sagt. Also lautet das Schnellprofil auf einen Blick: Katze. Köln. Macht, was er will. Damit lässt sich was anfangen. Ich sage: »Poldi ist noch da drin!«
»Poldi?«
»Unser Kater. Wir haben ihn nach Lukas Podolski benannt!« Der grimmige Blick des Mannes fließt ihm aus dem Gesicht wie Butter. Dahinter: Lächeln. Trotzdem, er hat Pflichten.
»Ich kann euch da nicht reinlassen, Jungs.«
Das ist schon viel besser. Jemand, der einen tatsächlich nicht reinlassen will, sagt: »Ich lasse euch da nicht rein.« Jemand, der einen reinlassen will, aber noch irgendwo einen Chef über sich hat, der deswegen Ärger machen könnte, sagt: »Ich kann euch da nicht reinlassen.«
»Poldi hat sich versteckt nach dem Rohrbruch«, behaupte ich. »Bestimmt sitzt er seit zwei Wochen irgendwo im Schrank. Ich wollte ihn suchen, als das Wasser floss, aber meine Mutter sagte: ›Du darfst da nicht mehr rein.‹ Ständig sagen einem die Frauen, was man darf und was man nicht darf. Ich bin mit ihr und meinem Vater zu Tante Brigitte gezogen, solange hier renoviert wird. Tante Brigitte wohnt zusammen mit ihrer Schwester, wissen Sie? Das sind drei Frauen gegen einen und einen halben Mann. Wir haben da gar nichts mehr zu sagen. Die gucken jeden Tag Anna und die Liebe und Rote Rosen und wir dürfen nicht mal an die Kiste, wenn die Bundesliga läuft.«
Der Mann mit den Nasenhaaren und FC-Socken sieht uns an. War das zu viel?
Es war nicht zu viel. Er macht einen Ruck mit dem Kopf Richtung Treppenhaus und gibt den Eingang frei.
Ich drücke ihm kurz die Hand: »Danke, Dietmar!«
Wir laufen die drei Stockwerke nach oben. Die Wohnungstüren stehen offen. Auf den Treppen sind Kisten und Möbel gestapelt. Auch Heiners Tür und die seines Nachbarn sind geöffnet. Es wird gebohrt. Heiners Holzfußboden ist aufgequollen, weil so viel Wasser darüberlief. Im Badezimmer klafft eine riesige Wunde in der Wand. Die Rohre dahinter wirken wie die Gelenke eines Cyborgs. Heiners Hausrat steht in Klappkisten gestapelt auf der Bar, auf dem Boden und im Hausflur. Die Möbel sind fast alle abgebaut. Wahrscheinlich waren sie an den Füßen und Bodenplatten durch die Flut aufgeweicht. Es sieht aus, als sei eine Bombe eingeschlagen. Ein herrlicher Anblick, denn er bedeutet, dass ich unrecht hatte. Heiner hat nicht gelogen.
Flo strahlt im Angesicht der Zerstörung.
»Jetzt müssen wir nur noch eine Katze namens Poldi finden, sonst fliegen wir auf«, lacht Lukas und klappt eine Plane hoch, um aus Spaß in den Kisten zu wühlen. Eine Nachbarin klackert mit harten Absätzen die Treppe herab. Ich sage: »Jungs, ich mach das schon«, und gehe zur Tür, während Flo und Lukas weiter durch das Durcheinander staksen. Bevor die Frau fragen kann, was wir hier tun, komme ich ihr einfach zuvor. Das ist immer eine gute Taktik. Erstaunt sage ich: »Was machen Sie denn hier?« Es funktioniert. Sofort ist sie es, die sich
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