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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Help-yourself-Einrichtungen fürs Tee- und Kaffeemachen stand ein kleiner Kühlschrank, in dem sie reichlich Milch fand, außerdem zwei Weingläser — und zwei Sektgläser. Eine Weile saß sie auf der geblümten Bettdecke, dann ging sie ans Fenster und schaute über die Blumenkästen mit Fleißigen Lieschen, Geranien und Petunien hinaus auf die Banbury Road unter ihr. Sie stand dort einige Minuten und wußte nicht, ob sie glücklich war oder nicht — versuchte, die Uhr anzuhalten, in der Gegenwart zu leben, den Augenblick zu ergreifen... und zu halten.
    Dann begann ihr Herz plötzlich gegen die Rippen zu hämmern. Ein Mann ging den Gehsteig entlang auf den Kreisverkehr zu. Er trug ein rosa Hemd mit kurzen Ärmeln, und seine Unterarme waren gebräunt — als habe er vor kurzem vielleicht ein paar Tage am Meer verbracht. In der linken Hand trug er eine Tragetasche mit dem Namen des Spirituosenladens in der Nähe, Oddbins; in der rechten Hand trug er eine Tragetasche mit der gleichen Aufschrift. Er schien tief in Gedanken versunken, während er, ziemlich langsam, Claires Blickfeld durchquerte und weiter auf den Kreisverkehr zuging.
    Was für ein erstaunlicher Zufall! hätte der Mann denken können, wenn sie das bleigefaßte Fenster aufgestoßen und gerufen hätte: «Hey! Kennen Sie mich noch? Lyme Regis? Letzte Woche?» Aber das hätte den Kern der Sache nicht getroffen, denn in Wahrheit war es überhaupt kein Zufall. Claire Osborne hatte es arrangiert.
    Es wurde leise an die Tür geklopft, und O’Kane fragte, ob sie — ob einer von ihnen am nächsten Morgen gern eine Zeitung hätte; es gehöre zum Service. Claire lächelte. Der Mann gefiel ihr. Sie bat um die Sunday Times. Dann, nachdem er gegangen war, fragte sie sich für einen Augenblick, warum sie so traurig war.

    Dr. Alan Hardinge traf erst kurz vor 21 Uhr ein, erklärte, entschuldigte sich, war aber ebenso verletzbar, so liebevoll wie immer. Und er hatte — der Gute — eine Flasche Brut Imperial und eine Flasche Skye Talisker Malt mitgebracht. Und beinahe, beinahe (wie sie sich später sagte) genoß sie die paar Stunden, die sie in jener Nacht zwischen den makellosen Bettlaken von Zimmer 1 in Cotswold House in Nord-Oxford verbrachten.

    Morse war am selben Tag um 14.30 Uhr zu Hause angekommen. Niemand (außer Lewis) wußte, seines Wissens, daß er zurückgekehrt war, doch um 16 Uhr hatte Strange angerufen. Würde Morse bereit sein, den Fall zu übernehmen? Nun, ob Morse bereit war oder nicht — er würde den Fall übernehmen.
    «Welchen Fall?» hatte Morse hinterhältig gefragt.
    Um 17 Uhr war er hinunter nach Summertown gegangen und hatte acht Halbe-Liter-Dosen eines neu entwickelten gekauft, das den Geschmack eines handgezapften, im Faß gelagerten Ale versprach, und zwei Flaschen seines Lieblings-Rotweins. Morse, der noch immer nicht ganz fit war, trug schwer an der Last, und vor dem Radio Oxford-Gebäude machte er eine Pause und sah sich um, in der Hoffnung, einen der roten Doppeldecker-Busse aus dem Stadtzentrum kommen zu sehen. Aber es war kein Bus in Sicht, und so ging er weiter. Als er am Cotswold House vorbeikam, sah er unter anderem das vertraute weiße Schild an der Tür. Es überraschte ihn nicht. Er hatte viel Gutes über das Gästehaus gehört. Er hätte nichts dagegen, selbst dort abzusteigen.
    Besonders wegen des Frühstücks.

Kapitel neunzehn

    Ich habe die Dinge lieber angedeutet als weitschweifig ausgeführt. Wenn jede Einzelheit erzählt wird, ruht der Verstand, und die Phantasie hat nicht mehr den Wunsch, die eigenen Flügel zu benutzen

    (Thomas Aldrich,
    Leaves front a Notebook)

    Strange war eigentlich ganz zufrieden mit all der Publizität. Selten hatte es soviel öffentliches Interesse an einem rein theoretischen Mordfall gegeben, und der außergewöhnliche, obgleich vielleicht nicht ganz gerechtfertigte Einfallsreichtum, mit dem die Leserschaft sich bereits den abgedruckten Versen gewidmet hatte, war sehr erfreulich — wenn auch vorläufig noch ohne viel greifbaren Wert. In der Times vom Sonnabend, dem 11. Juli, hatte es zwei weitere Leserzuschriften gegeben:

    Von Gillian Richard

    Sir, Professor Gray (9. Juli) scheint mir zu leicht übereinen Tatbestand im Schwedenmädchen-Fall hinwegzugehen. Das Mädchen ist, nach meiner Ansicht, gewiß noch am Leben, wird aber offensichtlich zwischen dem Wunsch zu leben und dem Wunsch zu sterben hin- und hergerissen. Sie hat wahrscheinlich nie in ihrem

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