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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Pathologie, und gehöre zu Max’ Schützlingen. Sie hätte noch spät mit Max zusammen gearbeitet — an Morses Knochen — , als sie ihn kurz vor 21 Uhr auf dem Boden des Labors gefunden habe. Herzanfall — schwerer Herzanfall. Er sei die meiste Zeit bewußtlos gewesen, seit sie ihn ins Krankenhaus gebracht hatten... aber die Schwester habe sie — Dr. Hobson — angerufen, und es bestehe die Möglichkeit, daß er — Max — versucht habe, nach ihm — Morse — zu fragen... wenn er — Morse — wisse, was sie — Dr. Hobson — sagen wolle...
    Oje!
    «Auf welcher Station liegt er?»
    «Intensivstation Herz-Kreislauf-Erkrankungen...»
    «Ja. Aber wo ?»
    «Das JR2. Aber es hat keinen Sinn zu versuchen, ihn jetzt zu sehen. Die Schwester sagt...»
    «Wollen Sie verdammt noch mal wetten ?» bellte Morse.
    «Bitte! Da ist noch etwas, Inspector. Er hat den ganzen Tag an den Knochen gearbeitet und...»
    «Vergessen Sie die Scheißknochen!»
    «Aber...»
    «Hören Sie. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, Dr. äh...»
    «Hobson.»
    «...aber bitte verzeihen Sie, wenn ich auflege. Wissen Sie», plötzlich war Morses Stimme kontrollierter, sanfter, «Max und ich... nun, wir... sagen wir, wir haben beide nicht allzu viele Freunde, und... ich möchte den alten Jungen noch einmal sehen, wenn er im Sterben liegt.»
    Aber Morse hatte den Hörer schon aufgelegt, und Dr. Hobson hörte die fünf letzten Worte nicht mehr. Auch sie war sehr traurig. Sie kannte Max erst seit sechs Wochen. Aber es war etwas Grundgütiges an dem Mann, und erst vor einer Woche hatte sie einen leicht erotischen Traum von dem häßlichen, barschen, arroganten Pathologen gehabt.

    Zumindest im Augenblick jedoch schien der Pathologe sich bemerkenswert gut erholt zu haben; er unterhielt sich völlig klar, wenn auch langsam und leise, mit Schwester Shelick, als er von seinem Besucher hörte, und er drohte, dem Stationsarzt die Berufserlaubnis entziehen zu lassen, wenn Morse (denn um diesen handelte es sich) nicht unverzüglich Eintritt gewährt werden würde.

    Aber eine Patientin, die gerade ins JR2 eingeliefert worden war, erholte sich in dieser Nacht nicht. Marion Bridewell, ein achtjähriges kleines Mädchen aus Westindien, war in der Broadmoor Lea-Siedlung an diesem Abend um 19 Uhr von einem gestohlenen Auto überfahren und sehr schwer verletzt worden.
    Sie starb kurz nach Mitternacht.

Kapitel zweiunddreißig

    Und Apollo vertraute Sarpedon zur Führung den beiden stürmenden Boten Schlaf und Tod, den Zwillingsbrüdern; die setzten im Fluge Nieder ihn bald im blühenden Reiche des Lykiervolkes.

    (Homer, Ilias, Gesang XVI)

    «Wie geht es Ihnen, alter Freund?» fragte Morse mit aufgesetzter Heiterkeit.
    «Ich sterbe.»
    «Sie haben einmal zu mir gesagt, daß wir uns alle auf den Tod zubewegen, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von vierundzwanzig Stunden per diem .»
    «Ich war immer exakt, Morse. Nicht sehr phantasiereich, zugegeben, aber immer exakt.»
    «Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wie...»
    «Jemand hat gesagt... jemand hat gesagt:
    «Lord Balfour.»
    «Sie waren immer sehr kenntnisreich.»
    «Dr. Hobson hat mich angerufen...»
    «Ah. Die schöne Laura. Weiß nicht, wie die Männer es schaffen, die Hände von ihr zu lassen.»
    «Vielleicht schaffen sie es auch nicht.»
    «Ich habe gerade eben an sie gedacht... Haben Sie noch erotische Tagträume, Morse?»
    «Fast ständig.»
    «Wäre nett... wäre nett, wenn sie an mich gedacht hätte.»
    «Das kann man nie wissen.»
    Max lächelte sein unbeholfenes, melancholisches Lächeln, aber sein Gesicht sah müde und aschfahl aus. «Sie haben recht. Das Leben ist voller Ungewißheit. Habe ich Ihnen das schon einmal gesagt?»
    «Viele Male.»
    «Ich habe mich immer... ich habe mich immer für den Tod interessiert, müssen Sie wissen. War eigentlich eine Art Hobby von mir. Schon als ich noch ein junger Bursche war...»
    «Ich weiß. Hören Sie, Max, sie haben mir gesagt, sie würden mich nur zu Ihnen lassen, wenn...»
    «Kein Schlüpfer — wußten Sie das?»
    «Bitte? Bitte, Max?»
    «Die Knochen, Morse.»
    «Was ist mit den Knochen?»
    «Glauben Sie an Gott?»
    «Hm. Die meisten Bischöfe glauben nicht an Gott.»
    «Und Sie haben mir immer vorgeworfen, daß ich keine Fragen beantworte!»
    Morse zögerte. Dann schaute er hinunter auf seinen alten Freund und sagte: «Nein.»
    Paradoxerweise vielleicht schien die

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