Finsteres Gold
den Füßen. »Nein.«
Wir steigen auf. Einen halben Meter. Und noch einen halben Meter.
Ihre Stimme klingt frustriert. »Lass los, Mädchen! Menschen ist der Zutritt zu Walhalla verwehrt.«
»Du darfst ihn nicht mitnehmen.« Meine Finger rutschen ab. Mein verletzter Arm schlenkert nutzlos neben meinem Körper. Verdammt! »Ich brauche ihn.«
Wir steigen weiter auf. Jetzt sind wir schon fast zwei Meter hoch. Mir egal. Ich habe keine Angst vor Höhe. Ich habe nur Angst, Nick zu verlieren.
»Lass ihn los«, flehe ich. »Ich kann mich um ihn kümmern. Bitte …«
Sie schüttelt ihr Bein. »Du bist schlimmer als ein bettelnder Hund. Wo ist deine Ehre?«
»Er gehört mir!«, schreie ich. Meine Finger zittern von der Anstrengung, mein ganzes Gewicht halten zu müssen. »Ich liebe ihn. Bitte.«
»Es tut mir leid«, flüstert sie und schüttelt ihr Bein noch einmal. »Wir brauchen den Wolf für die Schlacht. Wenn er tot in der Erde verrottet, ist er für niemanden von Nutzen. Und jetzt lass mich los.«
Sie tritt mit ihrem anderen Fuß nach mir. Ihre Ferse kracht in meine Finger. Sie verkrampfen sich. Nur eine Sekunde lang lockert sich mein Griff, aber das genügt. Ich falle. Meine Füße treffen zuerst auf dem Boden auf. Die Erschütterung des Aufpralls, als die Schwerkraft mich wiederhat, dröhnt bis in meinen Kopf hinauf, aber ich schwanke fast nicht. Meine Knie beugen sich. Ich lasse mich nicht unterkriegen, doch eine Sekunde später plumpse ich nach hinten auf den Schürhaken. Ich spüre das harte, kalte Metall links von meiner Wirbelsäule. Ich schaue nach oben.
Sie sind weg.
Ich konnte ihn nicht retten. Ich konnte ihn nicht halten.
»Nein.« Ich schreie das Wort nicht heraus. Ich flüstere es. Ich flüstere es immer wieder und wieder, bis es eine Art verrückter Singsang wird. »Nein. Nein. Neinnein. Neinneinneinneinnein …«
Mein Inneres ist leer wie der Himmel. Nur dieses eine riesige Loch, das aus meinem Magen herauswächst und immer größer und größer wird und alles von mir auslöscht, Nick. Nick ist tot.
Elfen-Tipp
Elfen ist dein Verlust egal. Sie schicken dir keine Blumen und halten auch nicht deine Hand. Beileidsschreiben kannst du ebenfalls vergessen. Viel eher beißen sie dich.
Er ist tot. Sein blutender, malträtierter Körper, sein wunderschöner Körper ist irgendwo, wo ich ihn nicht erreichen kann. Seine tiefe knurrende Stimme wird nicht mehr ertönen. Ich werde nie mehr spüren, wie er seine Lippen auf meine presst. Seine Finger werden sich niemals mehr in meine Haare wühlen. Ich werde ihn nie wieder mit Hundeleckerlis und Hydranten necken können.
Ich bleibe eine ganze Weile auf dem Boden liegen und starre einfach in den weißen Himmel. Ich starre und starre und starre und sehe nichts.
Im Wald bewegt sich etwas. Meine Hand greift unter meinen Rücken und findet den eisernen Griff des Schürhakens. Er ist kalt vom Schnee. Meine Finger legen sich um ihn. Sie bewegen sich aus einem Instinkt heraus, der nichts mit meinem Herzen zu tun hat.
»Sie ist verwundet«, sagt etwas.
Ich drehe den Kopf nach links, bleibe aber auf dem Boden liegen. Ein weiblicher Elf. Ihr Zauber ist erloschen. Sie hat ganz silberne Augen, eine blaue Haut und spitze Zähne. Ihr Designer-Kleid ist zerrissen. Sie hat keinen Mantel an und keine Schuhe. An einem Bein und einem Arm blutet sie.
Von rechts kommt noch ein Elf. Ich muss meinen Kopf drehen, um auch ihn zu sehen. Er ist größer und kann seinen Zauber noch aufrechterhalten. Er trägt Trainingsklamotten, winddichte Hosen und einen grün-weißen Kapuzenpullover. Er hat tiefe Ringe unter den Augen. Beide sehen … hungrig aus.
»Verwundet? Das macht das Töten einfacher«, sagt er, »und im Augenblick mögen wir es einfach.«
Ich wäge meine Möglichkeiten ab. Sie denken, ich wäre verwundet, dabei bin ich es gar nicht. Wenn ich mich aufsetze, sehen sie den Schürhaken. Ich würde meinen einzigen Trumpf aus der Hand geben: die Überraschung. Sie schleichen sich an mich heran. Ich weiß, wie schnell sie sein können, aber diese beiden sind langsam. Sie verhalten sich wie Katzen, die mit ihrer Beute spielen.
»Sie hat ihren Wolf verloren«, sagt die Frau mit vorgetäuschtem Mitleid in der Stimme. Ihre Worte klingen, als wären sie von Eis überzogen. »Armes, wehrloses Ding.«
Das Loch in mir wird größer, aber an seinen Rändern wogt etwas Dunkles und Wildes auf. Ich glaube, es ist Hass. Es ist ihre Schuld. Ich habe Nick ihretwegen verloren, wegen der
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