Finsteres Verlangen
mir zurückkehrt, wird Asher mit ihnen gehen.«
»Vorübergehend«, sagte Jean-Claude, aber man hörte ihm seine Zweifel an.
»Non, Jean-Claude, er wird wieder mein wie früher.«
Jean-Claude holte tief Luft und atmete langsam aus. »Nach deinen eigenen Regeln darfst du niemanden für immer zu dir nehmen, der einem anderen gehört.«
»Das ist wahr. Aber er ist niemandes Pomme de sang, niemandes Diener, niemandes Geliebter.«
»Du irrst dich«, widersprach Jean-Claude. »Er ist unser Geliebter.«
»Musette hat eure Lüge gerochen, hat euren schwachen Versuch, Asher von ihrem Bett fernzuhalten, durchschaut.«
Belle roch eine Lüge ebenfalls, aber nur bei Dingen, die sie verstand. Kein Vampir konnte Lüge von Wahrheit unterscheiden, wenn es um etwas ging, das er nicht begriff. Ein Vampir, der Loyalität nicht empfinden konnte, nahm sie auch nicht bei anderen wahr – so ungefähr. Ich versuchte, ihr etwas entgegenzuhalten, das sie verstehen konnte.
»Ich fand nicht, dass es ein schwacher Versuch war«, sagte ich.
Jean-Claude schoss mir einen warnenden Blick zu, und ich schüttelte den Kopf. Darauf trat er einen Schritt zurück, weil er begriff, dass ich einen Plan hatte, aber in meinem Kopf flüsterte er: »Sei vorsichtig, ma petite.«
Oh ja, ganz bestimmt.
Belle sah mich an. »Du gibst also zu, dass ihr Musette belügen wolltet.«
»Nein, ich sagte, der Versuch war nicht schwach. Ich fand die ganze Sache peinlich, aufregend, wundervoll und erschreckend. Mit Asher im Bett zu sein, hatte ich mir anders vorgestellt.«
»Soweit sagst du die Wahrheit.« Ihre Stimme war so angenehm, ich wäre am liebsten hineingetaucht und hätte mich darin gewälzt wie auf einem weichen, warmen, erstickenden Teppich. Sie war verführerisch wie Jean-Claudes und Ashers, aber auch furchteinflößend.
»Wir haben Asher in unser Bett geholt, und nach europäischen Maßstäben ist er unser Geliebter.«
»Nach europäischen Maßstäben?« Sie schaute verwirrt und Musettes Gesicht wurde zu einer Maske, die Belles Züge trug. Es war, als ob etwas Gefährliches darunter lauerte. Durch Jean-Claudes Erinnerungen wusste ich, dass Belle kaum größer war als Musette, aber die Physis war nicht alles an Belle Morte. »Ich verstehe nicht, was das bedeutet – europäische Maßstäbe.«
»Amerikaner pflegen die höchst sonderliche Idee, dass nur Geschlechtsverkehr echter Sex ist. Alles andere zählt nicht«, erklärte Jean-Claude.
»Ich schmecke Wahrheit, finde sie aber sehr seltsam.«
»Genau wie ich, dennoch ist es wahr«, erwiderte er mit seinem französischen Achselzucken.
»Musette hat keine Lüge gerochen, sondern meine Verlegenheit, weil wir keinen richtigen Geschlechtsverkehr hatten. Aber glaub mir, wir waren alle nackt und schweißgebadet.«
Sie wandte mir dieses befremdliche Gesicht zu, und es hätte noch furchteinflößender gewirkt, wäre es nicht von Musettes blonden Korkenzieherlocken umrahmt gewesen. Der Shirley-Temple-Look passte nicht zu Belle. »Ich glaube dir, aber wie du selbst zugibst, ist er nach deinen Maßstäben nicht dein Geliebter. Also wird Asher mir gehören.«
»Dich interessiert gar nicht, was wahr ist. Das hatte ich vergessen«, sagte ich.
Sie blickte mich aus schmalen Augen an. »Du hast gar nichts vergessen, Kleine. Du kennst mich nicht.«
»Ich sehe hin und wieder Jean-Claudes Erinnerungen. Das genügt. Daher hätte ich wissen können, dass mir die Wahrheit bei dir nichts nützt.«
Sie kam auf mich zu, und dabei hob sich ihre ganze Gestalt aus Musette heraus, sodass ich nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ein dunkelgoldenes Kleid, einen längeren Arm und eine blasse Hand mit kupferbraun gefärbten Nägeln sah, Musettes Körper eingehüllt in einen Geist. Belle Morte war nicht wirklich physisch anwesend, aber an den Nerven zehrte es trotzdem.
Bis Belle vor mir stand, war Jean-Claude von hinten an mich herangetreten. Ich lehnte mich gegen ihn und verspürte den starken Drang, seine Arme schützend um mich zu ziehen, denn Belle hatte mich schon mit einem ihrer Zeichen versehen, und das war ohne Körperkontakt erfolgt.
Sie stand sehr nah vor mir; Musettes Kleidersaum streifte meine Füße, und Belles geisterhaftes Kleid schien mir über die Schuhe zu den Knöcheln hinaufzukriechen. Ich konnte nicht atmen.
Jean-Claude wich vor ihrer schleichenden Macht zurück. Ich zog seine Arme fest um mich. Verdammt, ich hatte eine Scheißangst.
»Wenn die Wahrheit bei mir nichts nützt, was nützt dann?«, fragte
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