Finsterwald: Fantasy-Roman (German Edition)
davon gehört. Der Strom unter dem Herrenhaus scheint sich zu regen. Ich kann es nicht erklären, aber ich bin lange genug hier, um zu wissen, dass diese Energie jetzt anders ist, dunkler. Ich bin so froh wie niemand sonst, wenn die Nächte der Dunklen Aspekte der Lady vorüber sind.«
Carina setzte sich. Da waren noch ein Dutzend Patienten, die darauf warteten, behandelt zu werden. Sie wischte sich die Hände an ihrem Gewand ab und nippte an einem Becher kerif , der kalt geworden war.
»Und heute Nacht ist die Nacht der Vettel?«, fragte sie und winkte ihren nächsten Patienten heran, einen jungen Mann mit einem schlimm gebrochenen Bein. »Ich dachte, Fahnlehen verehrt die Vettel nicht.«
»Das tun wir auch nicht. Aber was die Nargi die Vettel nennen, gleicht auch den alten Geschichten nicht. Ich habe die Geschichten gehört, die die älteren Vayash Moru erzählen. In den alten Tagen war Sinha die Weberin keine alte Hexe mit einem Kessel. Sie spann die Fäden des Lebens und wob das Schicksal und bestimmte damit, wie lang jeder Lebensfaden sein solle. Das ist, warum man sich an diesem Abend gewebte Dinge schenkt, Schals und Decken. Wie die Formlose kommt Sinha die widerspenstigen Seelen holen, weil ihnen die Lebensfäden herausgerissen und neu verwoben werden müssen. Sie kann hart sein wie der Winterwind. Sie war auch eine Schinderin, die die Verstecke der Bösen fand und den Funken löschte, um ihre Seelen zurückzuschicken, bis sie ihre Lektion gelernt hatten.
Aber die Nargi haben Sinhas Namen genommen und ihn anderen Geschichten aufgedrückt. Sinha war keine Zerstörerin und kein Monster. Die Nargi-Priester haben sie so gemacht, weil es ihnen so gefiel. Heute Nacht werdet Ihr bei der Prozession einem alten Brauch beiwohnen können, bei dem Sinha Peyhta bekämpft, die Seelenfresserin. In Nargi sind Sinha und Peyhta eins geworden.«
»Warum sollte jemand ein Monster anbeten wollen?« Carina nahm schmutzige Binden ab, die eine eitrige Beinwunde bedeckten. Sie biss bei dem Gestank die Zähne zusammen und konzentrierte sich auf die Heilung. Am Rand ihrer Kraft konnte sie etwas spüren, was ihr Kraft entzog – jetzt spürbarer als vorher, seit Lisette sie darauf aufmerksam gemacht hatte. Tief unter Dark Haven war der Strom verdorben.
Carina konnte seine Energien spüren, sie zogen und zerrten an ihr.
»Laisren sagt, wir machen uns unsere Götter nach unserem Bilde«, erzählte Lisette weiter. »Die Nargi-Priester regieren durch Angst und Peyhta reitet in Albträumen und ernährt sich von Seelen. Die Nargi geben diesen Vorstellungen Kraft, indem sie für ihre Anbetung sorgen. – Manchmal wäre es wirklich besser, die alten Götter sterben zu lassen.«
Jonmarc schwang sich aus dem Sattel. Er war müde und wund. Die Ereignisse des Tages lasteten schwer auf seinem Gemüt. Gabriel war sicher bereits erwacht, aber das Treffen würde nicht erfreulich sein.
Jonmarc streckte sich. Nach allem, was er getan hatte, um die Bewohner von Haven zu beruhigen, hatte er den Rest des Tages mit den Bauern in den südlichen Weilern verbracht und ihnen dabei geholfen, die Zäune zu reparieren. Es brachte Glück, an diesem der Weber-Vettel gewidmeten Tag, Zäune zu bauen, Seile zu machen und neue Netze zu knüpfen. Trotz des ständig fallenden Schnees waren die Jungen und Männer des Dorfes die Gatter abgegangen, hatten die Pfosten erneuert und Holz davor geschlagen, um sie für die neuen Herden im Frühling vorzubereiten. Als die Dunkelheit herabsank, waren Jonmarcs Hände kalt und rot und er konnte seine Zehen kaum spüren. »Man sollte meinen, dass ich nach dem letzten Winter wüsste, wie diese Jahreszeit in Fahnlehen aussieht«, sagte er sich selbst. Sein Atem dampfte in der bitterkalten Luft.
Eine alte Erinnerung stieg in ihm hoch, als er den Hals seines Pferdes tätschelte und er das Tier in die Ställe führte. Er konnte das Klicken des Weberschiffchens hören, im Haus seiner Kindheit ein ständig vorhandenes Geräusch, zusammen mit dem schweren Klang des Schmiedehammers. Vor seinem inneren Auge erschien das Bild seiner Mutter, die einen Schal aus feinsten Garnen webte. Weich, ganz leicht und zart war es ein Meisterstück ihrer Kunst. Er sah zu, wie seine Mutter den Schal vorsichtig in ein anderes Stück Tuch einwickelte und das Paket mit einem Stück Garn zuband. Dann legte sie das Päckchen auf die Türschwelle in den Schnee, zusammen mit einigen Kuchen und einem Becher Bier. »Für die älteste Göttin«, hatte sie
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