Fire after Dark - Dunkle Sehnsucht
umblättere.
Ich verliere mich ganz in der bebilderten Geschichte von Dior und dem New Look, und es dauert eine Weile, bevor ich wieder aufschaue, aber als ich es tue, schnappe ich unwillkürlich nach Luft.
In der Wohnung gegenüber brennt endlich Licht. Die Lampen auf den Beistelltischen wurden eingeschaltet, ich kann sie leuchten sehen. Zum ersten Mal ist es mir jedoch unmöglich, etwas zu erkennen. Die schweren Rollovorhänge sind nicht heruntergelassen, aber lichtdurchlässige Stores, die mir in der Wohnung gar nicht aufgefallen sind, wurden über die gesamte Länge des Fensters gezogen. Der Raum besteht daher nur aus leicht verzerrten und merkwürdig geformten Umrissen, die gerade noch auszumachen sind. Ich erkenne das Mobiliar, die Tische und Stühle. Alles wirkt anders, wenn man es auf diese Weise sieht: etwas völlig Normales erscheint exotisch und ungewöhnlich. Mir sticht eine seltsame Form ins Auge, ein niedriges Rechteck mit nach oben gerichteten Zacken, wie ein Tier, das auf dem Rücken liegt, während seine spindeldürren Beine in die Luft ragen, und es dauert einen Moment, bevor mir klar wird, dass es sich um den Hocker handeln muss, der mir dort aufgefallen ist.
Ich stehe auf und gehe leise und langsam zum Fenster. Ich bin sicher, dass ich von drüben nicht zu sehen bin, und wer immer dort ist, kann mich ganz bestimmt nicht hören, aber ich will trotzdem auf Nummer sicher gehen.
Zwei Silhouetten betreten den Raum. Offensichtlich eine Frau und ein Mann, aber es lässt sich unmöglich sagen, um wen es sich handelt, auch wenn der Mann Dominic sein muss. Es sind nur dunkle Schatten hinter einem weißen Schleier, die umherlaufen, sich setzen, gelöst wirken. Irgendwo muss ein Fenster offen sein, denn die Vorhänge bewegen sich wie unter einer leichten Brise, was die Schatten noch mehr verzerrt. Nur einen Moment lang hängen die Vorhänge schlaff herunter, und ich schaue konzentriert, doch dann flattern sie wieder und bauschen sich auf, und die Umrisse entgleiten mir.
»Verdammt!«, fluche ich leise. »Haltet still!«
Es quält mich unerträglich zu wissen, dass Dominic dort mit einer anderen ist. Wer ist es? Es muss Vanessa sein, sie war es bisher ja immer. Aber die Schatten sind undefiniert, ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob sie es ist oder nicht. Ich weiß, dass es eine Frau ist, denn ich erkenne ihre Körperform und dass sie ein Kleid trägt, aber alles andere bleibt vage. Das ist sehr frustrierend.
De Havilland wacht auf und springt neben mich auf das Fensterbrett. Er setzt sich, wickelt seinen Schwanz um seine Beine, blinzelt und beobachtet einige Tauben, die vom Dach in die Bäume flattern. Dann streckt er eine Pfote aus und beginnt, sie zu lecken. Ich wünschte, ich könnte ebenso heiter und gelassen sein, aber ich kann mich nicht von der Szene gegenüber lösen, muss einfach herausfinden, was dort drüben vor sich geht.
Ob ich eifersüchtig bin? Natürlich!
Zwischen Dominic und mir gab es nie mehr als nur eine Verabredung, aber trotzdem spüre ich primitive Besitzansprüche in mir aufwallen. Gestern beim Abendessen hat er mir versichert, mit Vanessa sei es aus. Warum ist dann eine Frau in seiner Wohnung?
Andererseits … ich habe ihn nicht gefragt, ob er sich mit jemand anderem trifft.
Der Gedanke kühlt mich ab wie ein Kübel Eiswasser, den man mir über den Kopf geschüttet hat. Ich hole tief Luft. Wie dumm von mir zu denken, er sei Single. Und ich habe ihn praktisch angefleht, mich am Ende des Abends zu küssen, habe ihm das Gesicht entgegengehalten, meine Lippen voller Hoffnung leicht geöffnet. Ich war der festen Ansicht, die Spannung zwischen uns sei sexuell, aber vielleicht war er einfach nur peinlich berührt, weil er merkte, wie sehr ich mich in ihn verknallt habe.
Vielleicht erzählt er ihr gerade davon.
»Sie ist ja ganz süß, aber ich glaube, es war unvernünftig von mir«, sagt er und gießt seiner Begleiterin ein Glas eisgekühlten Champagner ein. »Sie dachte gestern Abend offenbar, ich würde sie küssen wollen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also habe ich ihr einen brüderlichen Kuss auf die Wange gegeben. Dann habe ich ihr angeboten, morgen etwas mit ihr zu unternehmen – sie ist ja ganz allein. Ich fand, jemand solle ihr die Stadt zeigen. Eigentlich wollte ich nur freundlich sein, aber jetzt mache ich mir Sorgen, dass sie es falsch interpretieren könnte.«
Seine Freundin lacht und nimmt das Glas entgegen. »Oh, Dominic, du bist viel zu gut für
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