Fire after Dark - Dunkle Sehnsucht
Spiegelbild sieht irgendwie anders aus. Vielleicht liegt es an der Strenge meiner Arbeitskleidung aus weißer Bluse, schwarzem Rock mit Gürtel und schwarzer Strickjacke, dazu die Art und Weise, wie ich meine Haare zu einem festen, glänzenden Pferdeschwanz gebunden habe, aber ich weiß, ich sehe älter und erfahrener aus als noch vor wenigen Wochen. Vielleicht auch etwas mehr dazu bereit, tapfer zu sein.
»Komm schon, Beth«, sage ich mit fester Stimme zu mir, »er wird nicht ›hallo‹ sagen und dir gleich darauf mit der Peitsche eins überziehen. So wird es nicht ablaufen.«
Wovor auch immer ich mich fürchte, ich bin zuversichtlich, dass mich Dominic einfühlsam und gut lenken wird. Ich muss mich nur entspannen und ihm vertrauen. Ich muss mich ganz in seine Hände geben.
Vielleicht geht es ja nur darum. Womöglich habe ich mich ihm damit bereits unterworfen, habe ihm schon die Kontrolle gegeben, die er so liebt?
Ich bin verwirrt angesichts des Paradoxons, dass ich mich nur dank meiner Willenskraft und Entschlossenheit an einen Ort manövriert habe, an dem ich mich einem anderen Menschen völlig unterordne. Aber ich weiß mich bei Dominic in guten Händen, und dieses Gefühl ist zutiefst tröstlich.
Heute Abend werde ich mehr wissen.
Meine Augen glänzen. Die seltsame Wendung der Ereignisse erregt mich. Und ich muss nur noch wenige Stunden warten.
Dominic kommt in dem Moment, als James das
Geschlossen
-Schild an die Galerietür hängen will. Ich fühle eine Welle des Stolzes, als er eintritt, so groß und gutaussehend und so umwerfend in seinem dunkelgrauen Anzug und der blaugoldenen Seidenkrawatte. Wie immer wirkt er makellos, nur sein Gesichtsausdruck wandelt sich in Erstaunen, als er James sieht und in ihm den Mann aus dem
Asyl
wiedererkennt.
»Ich freue mich, Sie wiederzusehen«, begrüßt ihn James, unbeirrbar wie immer. »Ich wünsche Ihnen beiden einen wunderschönen Abend.«
»Danke, James. Gute Nacht.« Ich nehme meine Tasche und gehe zu Dominic, der an der Tür wartet.
»Er ist dein Chef?«, fragt Dominic, nachdem er mir einen Kuss auf die Lippen gedrückt hat.
Ich nicke, lächele schelmisch. »Wir sind uns sehr schnell nahegekommen.«
Gemeinsam verlassen wir die Galerie. Auf der Straße runzelt Dominic die Stirn, und ich entdecke einen Hauch Eifersucht in seinen Augen. »Nicht zu nahe, hoffe ich. Wollte er wirklich ein Verhältnis mit dir anfangen?«
»Ich vertraue dir jetzt ein Geheimnis an.« Ich ziehe ihn zu mir und flüstere ihm ins Ohr: »James ist schwul.«
Dominic wirkt besänftigt, schmollt aber immer noch ein wenig. »Das muss in meiner Welt nicht unbedingt etwas heißen, das kann ich dir versichern. Du wärst überrascht, was passieren kann, wenn alle Beschränkungen aufgehoben sind.«
»Wohin gehen wir?«, frage ich, hake mich bei ihm unter und schmiege mich im Gehen an ihn. Aus irgendeinem Grund empfinde ich mehr zärtliche Zuneigung zu ihm denn je, sehne mich danach, ihn zu berühren und zu umarmen. Einen Augenblick lang frage ich mich, ob ich die ganze Sache abblasen kann und wir einfach nach Hause gehen und auf dem Sofa kuscheln. Dann rufe ich mir in Erinnerung: Dominic ist nicht der Typ, der einfach nur auf dem Sofa kuscheln möchte, erinnerst du dich? Es läuft entweder auf seine Weise – oder gar nicht.
»Wir gehen ins
Asyl
«, antwortet er. Er scheint ein wenig abgelenkt, aber vielleicht will er einfach nur von den Straßen weg, auf denen der Feierabendverkehr brummt.
»Oh.« Irgendwie bin ich enttäuscht. Ich hatte mir vorgestellt, dass wir etwas Neues ausprobieren, aber vielleicht ist es ja so vernünftiger. Das
Asyl
ist ein Ort, der in Dominics Leben eine große Rolle zu spielen scheint, also muss ich ihn besser kennenlernen.
Gleich darauf steigen wir die Metalltreppe hinunter und stehen vor der Eingangstür. Es ist noch so früh am Abend, dass der Club wie ausgestorben wirkt. Der Tisch im kleinen Eingangsbereich ist leer, aber Dominic führt mich selbstsicher hinein. Der tätowierte Mann steht hinter der Bar, notiert etwas auf ein Klemmbrett. Er schaut auf, als wir eintreten.
»Guten Abend, Dominic«, sagt er freundlich, was gar nicht zu seinem aggressiven Äußeren passt.
»Hallo, Bob«, erwidert Dominic. »Ist sie da?«
»Oben. Ich rufe sie herunter.« Der Tätowierte greift nach einem Telefon und nuschelt etwas in den Hörer.
»Er heißt Bob?«, frage ich leise, aber ungläubig. Dann muss ich kichern.
»Ja. Was ist daran so komisch?«
»Na ja …
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