Firelight 1 - Brennender Kuss (German Edition)
schalten und sitzen bleiben. Sie könnten mich nicht zwingen. Sie würden es nicht mal versuchen.
Aber am Ende bin ich einfach nicht so mutig. Oder selbstbewusst. Was genau es ist, weiß ich nicht, aber ich steige ein.
Schon bald lassen wir die Berge hinter uns und fahren ins Ungewisse. Ich presse meine Hände gegen das kühle Fensterglas. Der Gedanke, Az nie mehr wiederzusehen, ist unerträglich. Ein Schluchzen dringt aus meinem Hals – ich hatte nicht einmal Gelegenheit, mich von ihr zu verabschieden.
Mum hält das Lenkrad fest umklammert und starrt wie hypnotisiert durch die Windschutzscheibe auf die kaum genutzte Straße. Immer wieder nickt sie – als würde jede dieser Kopfbewegungen sie in ihrer Entscheidung noch bekräftigen.
»Ein ganz neuer Anfang. Nur wir Mädchen«, verkündet sie mit übertrieben fröhlicher Stimme. »Das ist schon längst überfällig, stimmt’s?«
»Stimmt!«, jubiliert Tamra hinten auf der Rückbank.
Ich drehe mich um und sehe sie an. Als Zwillinge haben wir eine gewisse Verbindung zueinander, wir können die Gedanken und Gefühle des anderen erahnen. Aber jetzt nehme ich außer meiner eigenen Angst nichts wahr.
Tamra lächelt und sieht aus dem Fenster, als könne sie in dieser pechschwarzen Nacht irgendwas erkennen. Immerhin bekommt wenigstens sie endlich, was sie will. Egal, wohin wir auch gehen, dort wird sie die Normale sein. Und ich werde die sein, die sich in einer Welt zurechtfinden muss, die nicht für sie geschaffen ist.
Ich gehöre zu meinem Rudel. Vielleicht gehöre ich sogar zu Cassian. Auch wenn es Tamra das Herz brechen würde, vielleicht ist es richtig. Vielleicht ist er der Richtige. Ach, keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich nicht leben kann, ohne zu fliegen. Ohne den Himmel und die feuchte, atmende Erde. Niemals könnte ich freiwillig meine Fähigkeit, mich zu verwandeln, aufgeben.
Ich bin nicht wie meine Mutter.
Wie soll ich nur unter den Menschen leben können? Bestimmt werde ich wie Tamra, ein kaputter Draki, der nicht funktioniert. Nur bei mir wird es schlimmer sein. Denn ich werde mich daran erinnern können, wie es sich anfühlt, ein Draki zu sein.
Ich habe einmal eine Sendung über jemanden gesehen, der sein Bein verloren hat, aber es noch immer fühlen konnte. Er ist sogar nachts aufgewacht, weil es ihn so am Bein gejuckt hat, als ob es noch immer da, noch immer ein Teil von ihm wäre. Man nennt das Phantomgliedmaßen.
Das wäre ich dann auch. Ein Phantomdraki, auf ewig von der Erinnerung daran gequält, wie es früher einmal war.
5
W ährend Mum mit unserer Vermieterin redet, entrinnt mir Stück für Stück der Sauerstoff. Erst entkommt er meinem Hals und schließlich meinen Lippen. Selbst mit voll aufgedrehter Klimaanlage ist die Luft hier dünn, trocken und eigenartig leer. Genau so muss sich Asthma anfühlen, wenn man ständig nach Sauerstoff ringen muss. Als könne man einfach nie genug Luft in die Lungen bekommen. Ich werfe Mum einen finsteren Blick zu. Von allen möglichen Orten, an die wir hätten ziehen können, sucht sie sich ausgerechnet die Wüste aus!
Wir folgen der watschelnden Mrs Hennessey durch die Hintertür des Hauses ins Freie, wo uns sofort wieder glühende Hitze empfängt. Sie saugt mir die Feuchtigkeit aus der Haut, entzieht meinem Körper die Flüssigkeit wie ein nimmersattes Vakuum und raubt mir die Kraft. Nach nur zwei Tagen in Chaparral fordert die Wüste schon ihren Tribut – genau wie Mum es vorhergesehen hat.
»Ein Pool!«, jubelt Tamra.
»Der ist nicht für euch!«, unterbricht sie Mrs Hennessey sofort.
Doch Tamra schmollt nur eine Sekunde lang – nichts kann ihren Optimismus brechen. Eine neue Stadt, eine neue Welt, ein neues Leben – und nach allem braucht sie nur die Hand auszustrecken.
Ich falle hinter Mum und Tamra zurück. Jeder Schritt kostet mich wahnsinnig viel Energie.
Am geschwungenen Rand des Pools bleibt Mrs Hennessey stehen und deutet auf den Zaun. »Sie können den Hintereingang benutzen.«
Mum nickt, während sie sich mit der zusammengerollten Zeitung, in der sie die Wohnungsanzeige gefunden hat, gegen ihr Bein schlägt.
Mrs Hennessey lässt den Schlüsselbund in ihrer Hand klimpern, dann sperrt sie die Tür zum Poolhaus auf und reicht ihn Mum. »Die Miete für den nächsten Monat ist am Ersten fällig.« Ihre wässrigen Augen mustern mich und Tamra. »Ich lege Wert auf Ruhe«, sagt sie.
Ich überlasse es Mum, ihr das zuzusichern, und gehe ins Haus. Tamra kommt hinterher.
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