Firelight 1 - Brennender Kuss (German Edition)
Wahrscheinlich hätte auch ich eine kleine Reise gemacht. Doch niemand macht das in meinem Alter, wenn man noch zur Schule gehen muss. Erst als Erwachsener, als kräftiger und vollentwickelter Draki, gehen die meisten auf Reisen – allerdings niemals in die Wüste! Und das alles aus gutem Grund.
Ich widerstehe dem Drang, mich am Arm zu kratzen. Wir haben erst Frühling, aber meine Haut juckt bereits vor Hitze und Trockenheit. Im grellen Licht der sirrenden Neonröhren wird mir auf einmal schlecht und ich fühle mich, als würde ich verdorren.
Ich räuspere mich und finde dann meine Stimme wieder, die heiser klingt. »Hi, ich bin Jacinda Jones.«
Ein Mädchen in der vorderen Reihe zwirbelt eine Haarsträhne um ihren Finger. »Ja. So viel wissen wir schon.« Sie lächelt mit abartig glänzenden Lippen.
Mrs Schulz eilt zu meiner Rettung. »Woher kommst du denn?«
Mum hat mir alle Antworten eingebläut. »Colorado.«
Ich ernte ein aufmunterndes Lächeln. »Schön, sehr schön. Fährst du Ski?«
Ich blinzle. »Nein.«
»Wo bist du auf die Schule gegangen?«
Auch auf diese Frage hat Mum mich vorbereitet. »Ich wurde zu Hause unterrichtet.« Das war die einfachste Erklärung, die uns Zugang zum normalen Schulsystem verschafft hat. Es ist ja nicht so, dass wir das Rudel darum bitten könnten, uns meine bisherigen Zeugnisse zuzuschicken.
Mehrere Schüler brechen sofort in Gelächter aus. Das Mädchen, das noch immer mit ihren Haaren spielt, rollt mit den Augen. »Freak-Alarm.«
»Das reicht, Brooklyn.« Mrs Schulz blickt wieder zu mir und auch ihre Miene wirkt nun weniger herzlich, eher resigniert. Als hätte ich gerade gestanden, dass ich auf dem Leseniveau einer Erstklässlerin sei. »Das war sicherlich eine interessante Erfahrung.«
Mit einem Nicken will ich zurück zu meinem Pult, da meldet sie sich noch einmal zu Wort und hält mich als Geisel.
»Und du hast eine Zwillingsschwester, richtig?«
Ich warte einen Moment lang und wünsche mir, dass diese Befragung endlich aufhört. »Ja.«
Ein Junge, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Frettchen hat, nuschelt: »Gleich doppelt so viel Vergnügen.«
Einige der Schüler lachen, hauptsächlich die Jungen.
Mrs Schulz hört es nicht oder tut zumindest so. Mir egal. Ich will das hier endlich über die Bühne bringen, damit ich zurück auf meinen Stuhl und mich unsichtbar machen kann.
»Danke, Jacinda. Bestimmt wirst du dich hier in null Komma nichts einleben.«
Aber sicher.
Ich gehe zurück zu meinem Platz. Mrs Schulz stürzt sich sofort in eine einseitige Diskussion über Antigone . Das Stück habe ich vor zwei Jahren gelesen. Und zwar im Original – auf Griechisch.
Mein Blick wandert zum Fenster und dem Parkplatz dahinter. Über den schimmernden Autodächern, weit entfernt, ragen Berge in den Himmel und rufen mich.
Ich habe beschlossen, dass ich versuchen will zu fliegen. Immerhin hat sogar Mum es gemacht, als sie hier lebte. Es kann also nicht unmöglich sein. Doch im Augenblick ist es schwierig, sich davonzustehlen. Ständig rückt mir Mum auf die Pelle – sie besteht darauf, uns jeden Tag zur Schule zu fahren und wieder abzuholen, als wären wir sieben Jahre alt. Ich bin mir nicht sicher, ob sie das macht, weil sie Angst hat, dass das Rudel mir vor der Schule auflauert, oder ob sie befürchtet, dass ich abhaue. Eigentlich sollte sie mich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich das nicht tun würde.
Doch dass ich mich wegschleiche, um ein wenig die Flügel zu bewegen, hält Mum und Tamra ja nicht davon ab, das Leben zu führen, das sie sich so sehr wünschen.
Ich rutsche auf meinem Stuhl herum. Im Augenblick ist der zerknitterte Stadtplan in meiner Tasche meine einzige Hoffnung. Schon mehrfach habe ich ihn studiert und mir jeden Park in der Gegend eingeprägt. Nur weil ich hier wohne, heißt das nicht, dass ich einfach so verwelken will. Und der Gedanke, endlich wieder durch die Lüfte zu segeln, ist das Einzige, was mich durchhalten lässt. Risiko hin oder her, ich werde wieder fliegen.
Als es läutet, bin ich wie alle anderen sofort auf den Beinen.
Der Frettchenjunge dreht sich zu mir um und stellt sich vor. »Hey.« Er nickt mir zu und mustert mich unverhohlen. »Ich bin Ken.«
»Hi«, erwidere ich. Glaubt er vielleicht, sein schlauer Kommentar von eben habe ihm irgendwelche Pluspunkte eingebracht?
»Soll ich dir helfen, deine nächste Klasse zu finden?«
»Danke, das krieg ich schon selbst hin.« Ich lasse ihn stehen und
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