Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
werde ich das Gefühl nicht los, dass ich hier nicht allein bin.
Weil ich plötzlich fröstle, rubble ich mit den Händen über meine Oberarme. Ich brenne darauf, endlich nach Hause zu kommen, und laufe deshalb schnell den Kiesweg entlang.
Ich bin fast im Stadtzentrum angelangt, als eine Stimme das rhythmische Geräusch meiner Schritte unterbricht.
»Hi.«
Ich bleibe abrupt stehen, drehe mich um und sehe, wie Cassian aus dem Nebel heraustritt.
»Bist du mir etwa durch die Stadt gefolgt?«, will ich wissen. »Warum hast du nichts gesagt?«
»Was?« Er wirkt verärgert. »Nein, ich habe hier auf dich gewartet.«
Misstrauisch starre ich ihn an und werfe einen weiteren Blick über meine Schulter, als wäre dort jemand, der mich beobachtet und mir auflauert.
Ich wende mich Cassian zu, als er fragt: »Hast du es erledigt? Hast du ihm gesagt, dass er nie wieder hierherkommen soll?«
»Ja. Habe ich.« Das stimmt auch. Zumindest am Anfang.
Ich senke den Blick und setze mich mit vor der Brust verschränkten Armen wieder in Bewegung.
Er geht neben mir her. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Ja, das wird schon alles wieder.« Ich schüttle den Kopf. »Das war heute … einfach ein bisschen viel.«
»Ich weiß.« Er bleibt stehen, dreht sich zu mir um und legt mir seine beiden Hände auf die Schultern. »Du hast das Richtige getan.«
Das Richtige. Ich weiß gar nicht mehr, was das eigentlich ist. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und ich bringe keine weitere Lüge über meine Lippen. Ich nicke nur ruckartig und winde mich aus seinem Griff heraus, weil ich von ihm wegwill. Seine Anwesenheit verstrickt mich in lange Erklärungen und ich fühle mich schuldig. Wegen des Kusses. Wegen der Lügen, die ich ihm heute Abend aufgetischt habe. Wegen der Möglichkeit, dass ich das Rudel für immer verlasse und damit sein Vertrauen in mich für immer zerstöre.
Er hält mit mir Schritt und ich werfe ihm einen Seitenblick zu. Eigentlich wünsche ich mir gerade nichts sehnlicher, als allein zu sein.
Er scheint zu verstehen. »Ich bringe dich nach Hause, damit du keinen Ärger bekommst, falls wir angehalten werden. Ich kann ihnen erzählen, dass ich dich zu Tamra begleitet habe oder so.«
Bei diesen Worten wird mir klar, wie mein Leben verliefe, wenn ich hier im Rudel bliebe. Es wäre kein schlechtes Leben. Cassian wäre immer mein Freund, würde immer auf mich aufpassen und mir helfen, vom Rudel wieder akzeptiert zu werden. Und das würde ich schließlich auch – wenn ich dazu in der Lage wäre, meinen Teil beizutragen.
Wenn ich Will vergessen könnte.
Wenn ich so tun könnte, als ob mir innerlich nicht elend zumute wäre. Es liegt ganz bei mir.
Ich lege meine Finger an die Lippen, auf denen ich ihn noch immer spüren kann. Irgendwie glaube ich nicht, dass ich ihn jemals vergessen kann. In den letzten Wochen habe ich versucht, mir einzureden, dass ich die Geschichte mit ihm hinter mir lassen kann … dass ich das bereits getan hätte. Heute Abend wurde ich eines Besseren belehrt. Er ist die ganze Zeit über präsent gewesen. Und das wird er auch immer sein.
Ein paar Tage später stehe ich vor der Zimmertür meiner Mutter und klopfe sanft an.
»Mum«, rufe ich.
Das leise Geräusch ihres Fernsehers dringt durch die Tür. Ihre Schicht ist schon seit Stunden zu Ende, also muss sie schon eine ganze Weile zu Hause sein. Vermutlich hat sie Hunger, ich habe kein Geschirr in der Spüle gesehen.
Ich klopfe noch einmal, öffne die Tür und betrete das schwach beleuchtete Zimmer. Sie liegt im Bademantel auf dem Bett und starrt auf den Fernseher. Mit Verwunderung bemerke ich, dass das Bett ungemacht ist. So spät am Tag? Mum macht immer ihr Bett.
Auf dem Nachttischchen steht ein halbvolles Glas Verdawein und daneben die Flasche. In letzter Zeit ist der Wein das Einzige, was sie zu sich nimmt. Nicht gerade sehr nahrhaft. Ich frage mich, warum sie sie nicht davon abhalten, so viel davon aus der Klinik mit nach Hause zu nehmen. Der Wein wird hauptsächlich zu medizinischen Zwecken verwendet, nicht zum privaten Genuss.
»Hallo, Mum.«
Sie wendet den Blick vom Bildschirm ab, wo gerade eine Folge einer alten Comedyserie läuft. »Hallo, Jace. Hattest du einen guten Tag?« Ihre Augen wirken müde und leblos.
Die Frage ist rein rhetorisch gemeint. Es sind nur ein paar leere Worte.
Wie soll ich denn mit einer Mutter umgehen, die sich von allem verabschiedet hat? Gibt es irgendetwas, was ich sagen kann – was ich tun kann –, um sie zu
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