Firkin 04 - Hundstage
diesmal ausnahmsweise nicht den Ziegen galten, zog er es in den Gang und schlängelte sich in die Helligkeit hinaus. So neugierig er auch war, er wollte auf keinen Fall die Hand in den Terrakotta-Behälter schieben, ohne zuvor hineingeschaut zu haben. Man konnte nie wissen, was die Leute alles in Gefäßen verstauten!
Nach ein paar Minuten hatte er den Eingang erreicht. Vielleicht hatte man die Gefäße absichtlich versteckt? Vielleicht enthielten sie etwas Wertvolles? Gold und Juwelen, die ihn steinreich machten? Pepperl holte aufgeregt Luft, entfernte den Deckel und spähte erwartungsvoll hinein. Lichtstrahlen, die in den Facetten eines faustgroßen Diamanten funkelten; Aureolen betäubenden Reichtums, die hypnotisch über einem Münzenmeer aufblitzten; das saphirblaue Glitzern unvorstellbaren Reichtums … All dies und mehr war dort nicht zu sehen. Nur eine alte zerknitterte Pergamentrolle.
Die anderen vier Gefäße enthielten dasselbe: Bögen aus dickem, vergilbtem Pergament, mit willkürlichen Kritzeleien und mißratenen Darstellungen bedeckt, die nicht das geringste Gefühl für den richtigen Maßstab aufwiesen: Männer mit langen Hörnern und mickrigen Schwänzen ragten vor Hunderten rennender Strichmännchen auf. Pepperl musterte die Schriftstücke voller Verwirrung, schnalzte ratlos mit der Zunge, faltete sie zusammen und steckte sie in sein Hemd, ohne im entferntesten zu ahnen, daß sie Geheimnisse enthielten, die eigentlich kein sterbliches Wesen je schauen durfte. Kamen sie in die falschen Hände, konnten die Folgen katastrophal sein.
Doch zum Glück für die Welt im ganzen gehörte zu den vielen lebensbereichernden Fähigkeiten, die der bayufarische Ziegenhirte zu erlangen versäumt hatte, die Kunst des Lesens.
Wahrscheinlich war dies mehr als alles andere der Grund, warum Pepperl dem verblaßten Etikett keinerlei Beachtung schenkte, auf dem die wehmütige Bitte stand, jemand – irgend jemand – möge sich doch »bitte dieser Gefäße annehmen, danke«.
Das einzige, das fehlte, war der Geruch.
Cheiro Mancini war jedesmal überwältigt, wenn er die Schuppen- und Krallenabteilung von Hagen Böcks Pelz- und Federviehmarkt besuchte. Heute war es nicht anders. So viele Tiere, so wenig Geruch. Sein Kinn sank vor Staunen herab, als er die Regale und Ständer der Fertigtierwelt musterte, die um Aufmerksamkeit bellte und verzweifelt jemandem zumiaute, der dafür blechte, sie mit nach Hause zu nehmen. Hier war alles unter einem Dach zusammengepfercht, was sich ein Kunst-Umwelt-Techniker mit einem gewissen Maß an Selbstachtung wünschte. Von fertig zusammengesetzten Erdferkeln bis zu Salonlöwen; von Hasen-Fix-Bausätzen bis zu Wassermolchen aus der Dose für gestreßte Manager. Die Auswahl an Formen, Farben und Hauttypen, die man in ein projiziertes empathisches Tier einbauen konnte, war schier grenzenlos. Und Böck nutzte sie allesamt voll aus.
Seit dem Tag, an dem er im zarten Alter von zweidreiviertel Jahren das Schoßtier seiner Schwester Lotte – eine talpinische Steinmaus – für eineinhalb Scheiben ammorettisches Karamel verkauft hatte, war Hagen Böck von Tieren aller Art fasziniert. Oder genauer ausgedrückt, ihn faszinierte, daß andere Leute von allen möglichen Tieren fasziniert waren. Es waren im allgemeinen Geldtypen. Mit einem für einen so jungen Mann ungewöhnlich scharfen Durchblick hatte Böck erkannt, daß sich das reiche Füllhorn der Natur in Bares umwandeln ließ. Daß man sozusagen mit Mäusen Mäuse machen konnte.
Ungefähr ein Jahrzehnt später hatte sich der Lauf der Dinge verändert. Böck hatte sich von talpinischen Steinmäusen weiterentwickelt, und nun konnte man ihn überall antreffen: Er war mühsam durch die unwirtliche Gegend der Angstarktik gestapft, wo er nach seltener Jagdbeute wie dem legendären katanaklauigen Vielfraß von Obergulpingen suchte, und hatte das östliche Lauwarme Meer auf der Suche nach doppelhörnigen Narwalen und dekanternasigen Delphinen durchstreift, um sie in Netzen zu fangen und an den Meistbietenden zu verticken. Und dabei war ihm ein gesundes Vermögen ins Netz gegangen.
Erst nachdem er wegen Verstößen gegen die Import-Export-Bestimmungen, Mißachtung der Versandbestimmungen und dem Zuwiderhandeln gegen unzählige Quarantäneverordnungen in verschiedenen Königreichen Gefängnisstrafen verbüßt hatte, hatte er eingesehen, daß seine Vorgehensweise falsch war. Die Tierbranche war ein hartes Geschäft. Da gab es nur eine Lösung:
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