Firkin 05 - Fahrenheit 666
versuchte, die Zwischentöne zu überhören, und starrte Seirizzim verächtlicher an als je zuvor. »Inflation! Vor fünftausend Jahren wußte noch niemand, daß es so etwas überhaupt gibt, und deshalb wurde sie auch nicht in den Vertrag mit aufgenommen. Und aus diesem Grund zahlt ihr uns selbst Jahrhunderte später immer noch einen einzigen Obolus pro Seele statt … statt, ähm …« Naglfar schnippte hinter dem Rücken mit den Krallen.
»Neunhundertsechsundvierzig«, antwortete ein ziemlich verängstigt wirkender Buchhalter, der durch eine gewaltige dicke Brille spähte.
»… statt neunhundertsechsundvierzig Obolen pro Seele! Bei achtzehn Seelen pro Fahrt, zehn Minuten Zeit zum Umkehren …« Naglfar wurde angesichts dieser enorm hohen Beträge ganz schwindelig, und seine feuerroten Augen sahen schon die Kasse klingeln. »Jedenfalls sind das eine ganze Menge Obolen, die uns nicht gezahlt wurden, oder was meint ihr, Brüder?«
»Aber was soll ich denn machen?« jammerte Seirizzim, der spürte, daß hier etwas ins Rollen geriet, das er gegenüber den anderen Ratsmitgliedern niemals rechtfertigen könnte.
»Entweder du gibst uns das Geld, oder wir bleiben im Ausstand!« stellte Naglfar unmißverständlich klar und knallte das Ruder in seine knochige Handfläche.
»Aber …«, setzte Seirizzim an, während ihm im Kopf die Bilder von den im Krieg zerschlissenen Seelen herumspukten, die jenseits des Flusses in kilometerlangen Reihen auf die Überfahrt warteten.
»Habt ihr das gehört, Genossen? Die Verhandlungen sind gescheitert!« verkündete Kapitän Naglfar. »Streik!« Und in diesem Augenblick kam der Fährbetrieb der P&A-Fährgesellschaft – und somit die gesamte Unterweltschiffahrt – endgültig zum Erliegen.
Pfarrer Götz von Öl der Dritte hatte wieder einmal miese Laune, denn in der schweißtreibenden Enge des Lagerraums der Gesellschaft für Transzendentalreisen mbH summten ihm vor lauter Lärm bereits die Ohren. Seit gut acht Stunden, mit Ausnahme der Mittags- und Kaffeepause, waren die Flure von lautem Sägen und Hämmern erfüllt, und die Wände schwangen mit der Frequenz eines widerlich kauenden Geräusches mit, das so klang, als ob sich diamantenbesetzte Zähne durch Granit bissen. [6] Doch am allerschlimmsten war es, als etwas gepfiffen hatte. Vhen Tacxia, der dämonische Heizungslieferant, war in Helian allgemein dafür bekannt, ständig während der Arbeit zu pfeifen. Er behauptete, auf diese Weise halte er seine Stalagmilbe am besten bei Laune, während sie sich ihren Weg durch das Felsgestein nagte.
Götz war nicht der einzige, der erleichtert seufzte, als Vhen Tacxia endlich Feierabend machte, seine Stalagmilbe in den Käfig zurückpfiff und über die Treppe nach draußen verschwand. Auch die anderen im Gebäude arbeitenden Angestellten brachen in Jubel aus und gingen ebenfalls nach Hause. Doch am meisten erleichtert war zweifellos Flagit. Natürlich weder wegen der ständigen Klagen des Personals noch aufgrund der zahlreichen Kundenbeschwerden, durch die er sich wieder einmal genötigt sah, etlichen Touristen die Reisekosten zurückzuerstatten. Nein, Flagit war erleichtert, weil er zum erstenmal sein neues Gerät so richtig ausprobieren konnte.
Zitternd vor Erwartung rannte er in den Lagerraum, schnappte sich eine Schachtel aus einem Regal, lief wieder nach draußen und knallte die Tür hinter sich zu. Das war das einzige, was Götz an diesem Tag von Flagit zu sehen bekommen sollte.
Flagit lief in sein Büro zurück, warf die Schachtel auf den Schreibtisch und rannte zur Getränkevitrine. In Sekundenschnelle hatte er sich einen großen Schuß Schwefelsiruplikör eingeschenkt und ihn mit einem Schluck hinuntergespült. Noch während er sich ein zweites Glas einschenkte, nahm er das überall herumliegende Werkzeug genauer in Augenschein – Bohrer, merkwürdig geformte Ventilatoren und ein kleines Gerät, das wie eine Windmühle aussah – und wünschte sich nichts sehnlicher, als daß endlich alles vorbei wäre. Eine ganze Woche lag noch vor ihm.
Er trank den Rest des zweiten Schwefelsiruplikörs aus und stand eine Weile unbeweglich da, nur seine Nasenwände zitterten. Dann atmete er unkontrolliert ein, dann noch einmal und ein drittes Mal, und plötzlich mußte er mit einer solchen Explosionskraft niesen, daß selbst der Obsidianschreibtisch ins Wanken geriet und sämtliche Pergamente im Raum verstreut wurden. Erbärmlich schniefend beugte er sich über eine Schüssel mit
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