First Night - Der Vertrag (German Edition)
sei und sich wohlfühlen sollte. Ganz im Gegenteil. Der Kerl machte ihr beinahe mehr Angst als Morosow.
„Ich arbeite für den BND.“ Silvio blickte nur kurz auf, um ihre Reaktion aufzunehmen, und als er sah, dass sie nicht einmal mit der Wimper zuckte, sprach er weiter: „Ihre Schwester hat auch für uns gearbeitet. Der BND hat sie damals angeworben, weil sie im VIP-Bereich der Airhansa direkt an der Quelle saß. Sie hatte den Auftrag, sich an einflussreiche Männer, Wirtschaftsbosse, Politiker und so heranzumachen. Sie sollte denen spezielle Informationen abluchsen oder sie erpressbar machen, je nachdem, um wen es sich handelte. Eine altbewährte und ziemlich effektive Methode von Geheimdiensten.“
Er blickte noch einmal auf und schaute ihr kurz in die Augen, die keineswegs überrascht wirkten, eher angewidert – von ihm. Es nützte nichts, wenn er sich dadurch gekränkt fühlte. Also versuchte er, so distanziert wie möglich weiterzuerzählen.
„Ich kannte Ihre Schwester nicht. Ich habe damals in einer anderen Abte ilung gearbeitet und war auf einem Einsatz im Ausland, aber wenn Ihre Schwester Ihnen auch nur ein bisschen ähnlich sah, dann gehe ich davon aus, die Männer sind ihr reihenweise verfallen. Ich nehme an, sie war das Sahneschnittchen der Abteilung.“
Julia spürte , wie der Herd hinter ihrem Rücken anfing zu schwanken, und sie musste beide Hände in die Arbeitsplatte graben, damit sie Halt hatte. Ihre Schwester hatte also für den BND gearbeitet. Hieß dieses Arbeiten etwa , dass sie mit Männern ins Bett gegangen war, im Auftrag ihres Vaterlandes?
„Marie wurde auf Bennis Vater angesetzt?“ , fragte sie und wunderte sich über sich selbst, wie fest und entschlossen ihre Stimme klang, obwohl der Boden unter ihr schwankte und der Herd wackelte und ihre Ohren brausten.
„ Ja, sie wurde auf Morosow angesetzt! Er ist schon lange eine primäre Zielperson des BND, aber wir sind ums Verrecken nicht an ihn herangekommen. Er ist überparanoid, er traut niemandem, nicht mal seiner Frau oder seiner Mutter, vermutlich nicht mal seinem eigenen Spiegelbild.“
„Und Marie hatte Erfolg bei ihm?“
Julia kannte die Antwort inzwischen. So machten die Tagebucheinträge von Marie endlich Sinn. Marie hatte nicht nur Erfolg gehabt, sie hatte sich auch noch in den Mann verliebt.
Verdammte Scheißliebe!
Silvio nickte knapp, ohne aufzublicken.
„Sie hatte einen Bombenerfolg. Er war hin und weg von ihr. Er hat nicht nur seine Hosen runtergelassen, sondern auch all seine Vorsichtsmaßnahmen. Ihre Schwester hat ein paar Dinge über ihn erfahren, die ihm das Genick g ebrochen hätten, wenn wir sie an die richtigen Adressaten in seiner Heimat weitergeleitet hätten.“
„Es war sicher nicht geplant, dass Marie schwanger wird?“
„Natürlich nicht. Es gab gewisse Unsicherheiten und Bedenken, ob Ihre Schwester wegen der Schwangerschaft überlaufen würde und was man von Seiten des BND dagegen unternehmen sollte. Man musste ihre Schwester irgendwie aus dem Verkehr ziehen und sie vor allem von Morosow fernhalten.“
„Also hat man sie aus dem Fenster gestoßen!“
„Sie glauben doch nicht im Ernst, der BND würde seine eigenen Leute umbringen, wie das in diesen dämlichen Agentenfilmen immer suggeriert wird!“, brauste Silvio auf und wurde zum ersten Mal laut.
„Was soll ich denn sonst glauben?“
„Als klar war, dass Ihre Schwester von Morosow schwanger war, hat man sie sofort aus der VIP-Lounge abgezogen. Sie durfte Morosow auf keinen Fall wiedersehen und er durfte auf keinen Fall etwas von der Schwangerschaft erfahren. Damit war Marie auch einverstanden. Sie wusste ganz genau, dass Morosow ein Killer ist, der in mehreren Ländern per Haftbefehl gesucht wird. Selbst in seinem eigenen.“
Julia nickte. Das Szenario deckte sich mit ihren Erfahrungen von damals. Maries plötzliche Kündigung bei der Airhansa und die Tatsache, dass sie um keinen Preis s agen wollte, wer Bennis Vater war.
„Aber Morosow hat sie dann doch irgendwie ausfindig gemacht“, stellte sie laut fest. Maries Tagebucheintrag vom 19. April 2005 ha tte sich unauslöschlich in Julias Gedächtnis gebrannt: Er war hier. Er hat herausgefunden, wo ich wohne, und er war außer sich, dass ich ihm nichts von dem Baby gesagt habe. Ich dachte, er bringt mich um. Da habe ich ihm einfach alles erzählt. Er war zuerst stinkwütend, aber dann hat er gesagt, ich brauche keine Angst zu haben. Er kümmert sich um alles. Oh Gott, ich liebe
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