First Night - Der Vertrag (German Edition)
kennen.
Die Mittagspause verpasste Julia den Dämpfer des Tages. Sie erreic hte den Kripobeamten, einen Kommissar Kühlwein, endlich telefonisch, aber der konnte sich nicht einmal mehr an den Fall erinnern. Sie hakte noch einmal nach, weil sie es einfach nicht glauben wollte, dass ein Kripobeamter wirklich den Todessprung einer jungen Mutter aus einer Entbindungsstation vergessen konnte. So oft kam das im Leben eines Polizisten garantiert nicht vor.
„Marie Dietrich!“, rief sie beinahe verzweifelt in ihr Handy „Aus dem Fenster im 4. OG vom Sankt Josef gesprungen. Eine Stunde, nachdem ein b erühmter Politiker sie besucht hat.“
„Wie kommen Sie denn darauf, dass ein berühmter Politiker Ihre Schwester besucht hat?“, schnaubte der Bulle am anderen Ende und klang verärgert oder vielleicht auch verängstigt.
„Sie können sich also doch noch an den Fall erinnern. Wer war der Mann, der meine Schwester in den Tod getrieben hat?“
Sie wusste, dass sie immer lauter geworden war, aber dieser Küh lwein hatte sich verplappert. Er wusste etwas. Anscheinend wussten alle etwas und keiner wollte ihr weiterhelfen.
„Sie sind ja hysterisch!“, sagte der Kommissar. „Kommen Sie erst mal runter und rufen Sie mich dann wieder an.“
„Ich bin nicht hysterisch!“, rief sie mit überschnappender Stimme. „Warum haben Sie den Fall zu den Akten gelegt? Was hat man Ihnen angedroht oder bezahlt, damit Sie die Augen schließen?“
„Sie sind nicht ganz bei Trost“, sagte Kühlwein und beendete das Gespräch einfach. Dieser unverschämte Knallkopf.
„Das hört sich nach einem gravierenden privaten Problem an“, sagte Kurz hinter ihr. Sie hatte ihn wieder nicht hereinkommen hören, weil seine Bürotür genau hinter ihrem Rücken lag.
„Ich habe mit meinem Privathandy telefoniert. Es ist Mittagspause“, sa gte sie entschuldigend und mit rotem Kopf.
Kurz musste schmunzeln. „Es ist nicht verboten, Privatgespräche mit dem Geschäftstelefon zu führen – auch während der Arbeitszeit, solange es sich in Grenzen hält. Das hier ist Expiron, keine Reinigungsfirma.“
Wenn es möglich war, wurde sie noch roter und Kurz war einfach nur hingerissen. Wann hatte er das letzte Mal eine junge Frau so entzückend erröten sehen? Wegen eines Privatgesprächs in der Mittagspause. Kam das Mädchen überhaupt aus Deutschland?
„Ich wollte nicht aufdringlich sein, entschuldigen Sie, Frau Dietrich, aber ich konnte nicht umhin, Ihr Gespräch mitzuverfolgen und das hörte sich irgendwie nach Korruption und Amtsmissbrauch an.“
Er sah, dass sie Tränen in den Augen hatte, und wusste, wenn er weiter drängte, würde er heute die zweite heulende Juristin in seiner Abteilung ertragen müssen.
„Ich … ich …“ Sie wandte sich ab, wollte ihre Tränen nicht zeigen und er respektierte es.
„Wenn Sie mir davon erzählen wollen, ich bin in meinem Büro. Ich kann Ihnen vielleicht helfen.“
Mehr sagte er nicht, unaufdringlich und effizient, und dann ging er wieder nach nebenan, und Julia konnte sich ungehindert ihren Tränen der Wut und Hilflosi gkeit hingeben.
***
Als sie zu Hause ankam, stand Kürbis Raimund Raffke vor ihrer Wohnungstür. Benni hatte ihn nicht hereingelassen, was völlig korrekt war. Sie waren zu 17.00 Uhr verabredet und jetzt war es zehn vor fünf. Sie hätte gerne vorher noch geduscht und zusammen mit Benni Abendbrot gegessen. Sie hatten sowieso viel zu wenig Zeit miteinander. Aber jetzt war Raffke schon da und er war gekommen, um ihr einen Gefallen zu erweisen und dem geschenkten Gaul sollte man bekanntlich nicht ins Maul schauen.
Sie lud ihn ein, mit ihr und Benni zusammen zu essen und kalkulierte im Kopf, ob die vier Scheiben Brot, die sie noch hatte, und der Käse wohl für drei Personen ausreichten. Er lehnte das Angebot mit dem Abendessen Gott sei Dank ab und bat um Verständnis, dass er nicht viel Zeit habe, weil er noch zu einem Klienten nach Nikolassee müsse. Klar, in Nikolassee, da saß ein zahlungsfähiger Klient und sie war mehr oder weniger ein lästiger Gefallen, also bat sie Benni, solange nebenan zu spielen – sie wollte nicht, dass er alles mitbekam, was sie dem Detektiv über seine Mutter und seinen Vater und den Mörder seiner Mutter erzählen musste. Es gab außer der winzigen und schäbigen Küche und dem Bad nur noch ein Zimmer, nämlich das Wohnzimmer, das auch ihr Schlafzimmer war, wobei der Schlafbereich für sie und Benni durch ein Bücherregal und einen Vorhang vom
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