First Night - Der Vertrag (German Edition)
seines großen Meisters Bodjanski ein paar nutzlose Drohungen auszustoßen.
„ Herr Morosow, meine Zeit ist begrenzt. Sie sind doch nicht hier, um mit mir über eine Frau zu reden?“
„Sie kommt mir bekannt vor. Wie ist ihr Name?“
Thomas hob nur die Augenbrauen. Vorher würde er sich die Zunge amputieren lassen, als ausgerechnet mit Morosow über Julia zu reden.
„ Was wollen Sie, Herr Morosow?“
„Mein Auftraggeber, Herr Bodjanski, schickt mich mit einem neuen Vorschlag, den Sie nicht ablehnen werden.“ Er deutete mit seiner riesengroßen Hand auf den Mann, der den Laptop unter dem Arm trug, aber Thomas grunzte nur herablassend und schüttelte den Kopf.
„Sagen Sie Bodjanski, dass ich mich nicht mit seinem Kettenhund unterhalte und im Übrigen ist die Zeit für Verhandlungen vorbei. Ich habe mich für eine andere Option entschieden, wie Bodjanski sehr wohl weiß.“
„Dieser Kettenhund bestellt Ihnen einen Gruß von Bodjanski und sagt Ihnen, dass er Sie in den Arsch ficken wird, wenn Sie ihm in die Quere kommen!“
Morosow machte einen Schritt auf Thomas zu, aber ehe er sich versah oder einer seiner beiden Begleiter auch nur in das Anzugjackett fassen konnte, hatte Brockmann schon die Waffe gezogen und auf Morosow geric htet. Er ging sofort wieder zwei Schritte rückwärts und hob beschwichtigend die Hände in die Höhe. Er wollte kein Blutbad provozieren, jedenfalls nicht hier im Büro des Konzernchefs und schon gar nicht, solange die Tat zu ihm und Bodjanski zurückverfolgt werden konnte. Er wollte nur Bodjanskis Warnung loswerden und diesem eingebildeten Lackaffen klarmachen, was ihm passieren würde, wenn er Bodjanskis Geschäfte ruinierte.
„Ihre Botschaft ist angekommen, Herr Morosow! Wenn Sie jetzt en tschuldigen, ich habe noch anderes zu tun.“
Thomas zeigte mit der Hand zur Tür und Brockmann trat , mit der gesenkten Pistole in der Hand, neben ihn, was in der Sprache, die auch Morosow verstand, bedeutete, dass er jetzt verschwinden sollte, wenn er die Situation nicht eskalieren lassen wollte. Morosow nickte seinen beiden Schatten zu und sagte etwas, das russisch und wütend klang, dann stampften sie beinahe im Gleichschritt zur Tür. Unter der Tür blieb Morosow noch einmal stehen und blickte zurück.
„Grüßen Sie die junge Dame, die gerade bei Ihnen war, von mir. Doswidanja!“
Sein Akzent war jetzt noch schwerer und vermutlich ahnte er es nicht, aber dieser letzte Satz erschreckte Thomas mehr als seine ganzen direkten Drohungen zuvor. Das bedeutete eine neue Aufgabe für Brockmann. Er durfte Julia bewachen. Solange, bis Morosow und seine zwei Killer das Land wieder verlassen hatten.
Für den Rest des Tages fühlte sich Julia, als wäre sie high. Da sie keine Praktikumsstelle mehr hatte und auch keine Vorlesungen stattfanden, hatte sie viel Zeit für Benni. Am Montagnachmittag war sie mit ihm im Zoo gewesen, am Dienstag im Pergamonpanorama und für heute Nachmittag hatte sie versprochen, mit ihm ins Hallenbad zu gehen. Die Verhandlungen mit Thomas Mahler (oder was auch immer dieses knisternde Geplänkel um das eine Thema gewesen war) hatten länger gedauert, als sie gedacht hatte. Oder war es ihr nur so lange vorgekommen? Besonders der Kuss. Der hatte eine selige, lustvolle Ewigkeit gedauert und hatte alles, was sie je über gute Küsse gehört und gelesen hatte, blass aussehen lassen.
Als sie zu Hause ankam, war es erst kurz vor Mittag und Be nni war noch in der Schule. Aber die Nachbarin hatte ein großes Paket für sie angenommen und im ersten Moment dachte Julia wirklich, Thomas Mahler hätte ihr aus unerfindlichen Gründen ein Geschenk geschickt. Aber warum sollte er? Sie hatte gestern auf ihrem Konto einen Eingang von 500.000 Euro zu verzeichnen und das sprengte ja wohl jeden Rahmen für ein weiteres Geschenk. Das Päckchen war von ihrer Mutter und es enthielt Maries Tagebücher.
Sie waren nicht nach Datum sortiert und unterschiedlich groß. Manche waren in Leder , andere in Leinen gebunden, wieder andere mit schlichtem Pappeinband, mit Blümchen und Herzchen verziert, und einige Aufzeichnungen waren in gewöhnliche Schulhefte geschrieben. Nachdem Julia den Karton endlich geöffnet hatte und die kurze und belanglose Grußkarte ihrer Mutter gelesen hatte, wusste sie nicht, mit welchem Buch sie anfangen sollte. Obenauf lag ein dünnes Heft, das nur ein paar Monate im Jahr 1999 umfasste, das nächste von 2004 war in Stoff gebunden und mit japanischen
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