First Night - Der Vertrag (German Edition)
Bennis hohe Zwischenfragen nur dazu bei, den Geräuschpegel in dem Raum zu erhöhen.
Aus der Küche dudelte ein Radio. In der Essecke lief der Fernseher mit einer penetrant schrillen Frauenstimme, die erbärmlich schluchzte. Ein Li ebesfilm? Am Esstisch saß ein dunkelhaariger Schönling von unendlicher Körpergröße, mit Muskeln wie ein Mister Universum und einem so engen T-Shirt, dass seine Muskeln die Nähte des Shirts schier sprengten. Er hatte den Fernseher so laut, dass niemand Julias „Guten Abend!“ hörte, als sie eintrat. Sie hatte ernsthafte Zweifel, ob der berühmte Leibwächter bei diesem Geräuschpegel überhaupt bemerken würde, wenn hier ein Amokläufer mit Maschinengewehr hereinstürmen und alle im Zimmer niedermähen würde. Durch die offene Küchentür konnte Julia zwei Polizisten in Uniformen sehen. Die saßen am Küchentisch, hatten Kaffeetassen vor sich stehen und lauschten abwechselnd auf knisternde Unterhaltung aus ihren Funkgeräten und auf ein Lied aus dem Radio, das sich nach einer Kifferparty anhörte.
Die Polizisten warteten offenbar auf etwas und das kam aus dem Badezi mmer. Ein Bulle in Zivil, zumindest nahm Julia an, dass er ein Polizist war, denn er sah so typisch wie ein Kommissar aus dem Fernsehen aus, dass sie beinahe über das Klischee seiner Erscheinung gelacht hätte. Er war ein schnoddriger und ungepflegter Mittvierziger mit Drei-Tage-Bart und fettigen Haaren und einem dicken Schnauzer, dazu trug er graue Cordhosen und ein blaues Busfahrerhemd. Seine Krawatte war nicht ordentlich geknotet und hing schief und halb offen an seinem Hals.
A ch, es geht doch nichts über einen maßgeschneiderten Anzug und eine korrekt gebundene Krawatte , dachte sie in diesem Moment und sah Thomas vor sich, wie elegant und überlegen er aussah in seinen dunklen Anzügen und seinen Seidenkrawatten und den blütenweißen Hemden, ganz zu schweigen von seinen gepflegten Händen.
Tante Heike war nirgendwo zu sehen. Der Kripobeamte machte gerade den Reißverschluss seiner Hose zu, als sein Blick auf Julia fiel. Die stand immer noch wie versteinert im Wohnzimmer und eine aufgetakelte Blondine heulte in einer Talkshow über ihren niederträchtigen Ehemann, der ihr alle mögl ichen Bosheiten angetan hatte und der Thomas Mahler hieß und Julia hätte diese unwichtige Kleinigkeit beinahe überhört, hätte der hünenhafte Bodyguard nicht laut „Geschieht dir ganz recht, du Schlampe!“ dazwischengerufen.
Julia konnte wirklich nichts dagegen tun , sie starrte auf die grell geschminkte Blondine im Fernsehen. Sie sah ihre dicken Brüste, so rund und groß wie Honigmelonen, die aus ihrem tiefen Dekolleté schier herauszuspringen drohten, sie sah, wie die Frau mit ihren langen, aufgeklebten Fingernägeln immer wieder an ihrem Dekolleté entlangstrich, sie hörte die Frau heulen, sah, wie deren Wimperntusche die Wangen hinunterlief. Sie hörte, wie sie dabei dem weißhaarigen, braungebrannten Moderator erzählte, dass ihr kaltblütiger Ehemann Thomas sie zur Abtreibung ihres geliebten Babys gezwungen hatte und dass er dafür nicht ungestraft davonkommen würde.
Julia fiel die Reisetasche mit einem lauten Plumps aus der Hand und ein lautes „Oh Gott!“ plumpste aus ihrem Mund. Auf einmal sahen alle zu Julia herüber. Benni hüpfte vom Schoß seines Opas herunter und warf sich mit voller Wucht gegen Julia.
„ Hey ho! Jule! Endlich bist du da! Warst du echt in der Schweiz? Warum hast du mich nicht mitgenommen?“
Benni hielt seine Hand zum Abklatschen hoch – einmal Hand oben, einmal unten, dann die Fäuste an den Knöcheln zusammen – und dann fing er sofort an zu quasseln, ohne Luft zu holen. Er erzählte von Tobi und dass sie dessen neues Kettcar erst mal mit einem alten Rasenmähermotor aufgepeppt hätten und wie Tante Heike ausgeflippt war, als er nach Hause gekommen war, und dass der Porsche von Silvio 612 PS und eine Beschleunigung von 3,9 Sekunden von null auf hundert hatte und dass die Bullen einen Riesenaufstand gemacht hatten und mit Blaulicht angekommen seien und dass Silvio Armdrücken mit ihm gespielt hatte und dass Opa ihm erlaubt hatte, American Pie auf DVD zu schauen, und, und, und.
„Benni, jetzt muss ich erst mal mit Tante Heike und den Männern hier reden. Merk dir alles, was du sagen wolltest, und erzähl es mir nachher, wenn ich dich zu Bett bringe.“
„Menno! Nie darf ich erzählen!“, murrte er und stopfte beide Fäuste in seine Hosentaschen. „Immer sagt jeder nur: Sei
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