Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
redet, spielt er mit den Fingern und atmet schwer, er hält es kaum auf dem Hocker aus. Ich habe ihn stets gemieden wie die Pest und ihn bisher noch nie so nah vor mir gehabt. Seine Haut ist weiß mit hellroten Flecken, der riesige Kopf voller dunkler Locken, die aussehen wie ein abgetretener Teppichboden. Er hat kleine Augen, eine spitze, lange Nase und ein winziges Mündchen etwas zu weit rechts in seiner Visage. Kurzum, abgesehen davon, dass ich ihn hasse und als meinen Erzfeind betrachte, sieht er total bescheuert aus.
Ich fixiere ihn weiterhin, und er schaut auf den Boden. Er rutscht auf dem Hocker herum, eine Plastiktüte baumelt an seinem Arm und schneidet ihm ins Fleisch. Allein der Anblick tut mir weh.
»Was hast du denn da drin?«
»Wo?«
»In der Tüte.«
»Ah. Das Buch.«
»Stift und Heft hast du nicht?«
»Doch, Buch und Füllfederhalter und Heft.«
»Na, dann hol’s raus, worauf wartest du? Beeilung!«
Er braucht eine Minute, um die Tüte von seinem Arm zu kriegen, dann fällt ihm der Füller auf den Boden, er versucht, ihn aufzuheben und fällt dabei fast vom Hocker. Er ist wirklich ein kleiner Teufel: Wenn man ihn so sieht, könnte man sofort auf ihn reinfallen. Tu ich aber nicht, ich weiß, dass das alles nur Show ist, gut gespielt, aber eben vorgetäuscht. Dieser Schweinehund hat mir den Vater geklaut und mich von zu Hause verjagt, dieser Schweinehund hat das Kater-Sylvester-Glas wieder hervorgeholt und es mir an einem der schwärzesten Tage meines Lebens unter die Nase gehalten. Mir machst du nichts vor, du getrocknetes Stück Scheiße, allen anderen vielleicht, aber mir nicht.
»Also, Kleiner, wo ist dein Schwachpunkt.«
»…«
»Sag schon, wo bist du am schlechtesten, Gedichte, Grammatik, Referate …«
»Bei den Aufsätzen.«
»Oje, Aufsätze sind wichtig. Da bin ich sehr gut, aber da gibt’s nicht viel zu erklären. Ist eine Frage des Talents, entweder du hast es oder du hast es nicht. Und Hausaufgaben?«
»Wie bitte?«
»Hausaufgaben, für morgen, für die nächsten Tage, hast du welche auf?«
»Ja, Der Regen im Pinienhain .«
»Na also. Aber wach mal auf, oder muss ich dir alles aus der Nase ziehen? Dann machen wir das heute. Der Regen im Pinienhain . D’Annunzio«, sage ich. »Was für ein Scheiß.«
Der kleine Champion funkelt mich kurz an, dann irrt sein Blick umher. Er ist erschrocken. Als hätte er Angst, dass D’Annunzio hier im Laden ist, auf der Suche nach Fischfutter womöglich, und uns hören kann.
»Na, was ist? Los, schlag die Seite auf, die findest du doch, oder? Lass uns das schnell hinter uns bringen, es ist nämlich wirklich ein grauenhaftes Gedicht. Warum sie euch diesen Schwachsinn beibringen, weiß ich nicht.«
Was für ein Quatsch, Der Regen im Pinienhain . Mein Plan war ja, dem kleinen Champion alle möglichen absurden und anstößigen Dinge beizubringen, damit er sie dann in der Schule nachplappert. Die Lehrerin wäre empört, und dann könnte er die Mittelschulprüfung vergessen. Aber bei diesem Thema brauche ich gar nichts zu erfinden. Ich brauche nur zu sagen, was ich davon halte.
»Also zunächst mal, was weißt du über dieses Gedicht. Weißt du schon was, oder ist in deinem Kopf alles zappenduster?«
Der kleine Champion verzieht zum ersten Mal den Mund zu einem Grinsen.
»Was gibt’s denn da zu lachen.«
»Nichts, Verzeihung.«
»Warum lachst du dann.«
»Sie haben mich zum Lachen gebracht.«
»Lachst du mich etwa aus?«
»Nein, dieses zappenduster . Ein schönes Wort.«
»Das heißt Ausdruck. Ein schöner Ausdruck «, sage ich, und insgeheim sage ich mir Lass dir nichts vormachen, lass dir nur nichts vormachen … »Also, was weißt du über den Regen im Pinienhain .«
»Es ist ein Gedicht.«
»Was du nicht sagst. Und weiter? Worum geht es.«
»Um einen Herrn in einem Wald, mit einer Frau.«
»Und was passiert?«
»Es regnet.«
»Ja, es regnet. Und der Regen macht eine Art Musik in dem Wald, klar?«
»Ja, so ungefähr.«
»So ungefähr? Was ist denn daran unklar.«
»Ich meine, wenn es regnet, wozu gehen sie dann in den Wald?«
»Mal abgesehen davon, dass es kein Wald ist, sondern ein Pinienhain, waren sie vielleicht schon da, bevor das Wetter schlecht wurde. D’Annunzio lief ja viel im Wald rum, splitternackt.«
»Nackt?«
»Ja, und sie war auch nackt, was denkst du denn.«
»Aber … Und wenn jemand sie gesehen hat?«
»Und wenn schon, D’Annunzio war ein Schwein, er feierte Orgien. Weißt du, was Orgien
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