Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
Roberto, der brüllt Mehr Schwung, mehr Schwung! Und schaust auf den Tacho, der 45 Stundenkilometer anzeigt. Ich habe den anderen in meiner Mannschaft davon erzählt, aber das war keine gute Idee, denn Signor Roberto lässt sie nicht im Windschatten seines Autos trainieren. Sie haben mich nur böse angeguckt und mir den Rücken zugedreht.
Auf meine Frage, warum er das nur mit mir macht, meinte Signor Roberto, dass ich nun mal der Kapitän sei. Aber das möchte ich gar nicht, ich bin nicht gern der Kapitän. Auch bei Spielen nicht, ich möchte lieber meine Ruhe haben und mich um meine eigenen Sachen kümmern.
Bei Kriegsspielen gab es immer Streit, weil alle General oder Kommandant sein wollten. Ich dagegen wollte immer bloß ein einfacher Soldat sein, der seine Arbeit macht und nach der Schlacht, wenn alles vorbei ist, an nichts mehr denken muss und tun und lassen kann, was er will: zum Beispiel Zigaretten rauchen oder ein Tagebuch führen oder an seine Freundin schreiben.
Aber auf dem Rad bin ich einfach zu stark, und ich muss den Kapitän spielen, immer vorneweg, immer allein. Ich habe versucht, so zu tun, als würde ich langsamer fahren, aber auf dem Rad ist das nicht so einfach. Auf den härtesten Streckenabschnitten sind die anderen schweißgebadet und keuchen, ich dagegen bin immer noch frisch und munter, und dann brüllt Signor Roberto Mirko, was ist los, schläfst du? Beweg deinen Arsch und fahr. Fahr! Fahr! Und alle schreien Fahr , und wenn ich die anderen dann überhole, sagen sie Fahr, du Scheißkerl oder Fahr zur Hölle oder Dreckiger Mistkerl . Also fahr ich eben.
Aber außer zum Radfahren gehe ich nirgendwohin. Vormittags ist Schule und nachmittags Training, das mich mindestens drei Stunden kostet, danach muss ich noch Hausaufgaben machen wie zum Beispiel diesen Aufsatz schreiben über den Ausflug in den Dinosaurierpark.
Ich möchte normale Sachen machen, wie alle anderen auch. Ich möchte ganz normal rausgehen, aber wenn ich mich irgendwo zeige, kommen immer Leute auf mich zu und applaudieren und fordern mich auf zu gewinnen, aber keiner bleibt bei mir.
Wenn ich beispielsweise zum Kiosk gehe, um den »Radsport« zu kaufen (Signor Roberto sagt, dass ich die Zeitschrift lesen muss, also praktisch eine weitere Hausaufgabe), muss ich an der Metzgerei vorbei, und dann ruft Signor Bindi mich ganz laut und will unbedingt, dass ich in den Laden komme. Er schneidet mir eine dicke Scheibe Fleisch aus einer halben Kuh raus, die er auf dem Hackblock liegen hat, und packt mir das bluttriefende Ding ein. Er will kein Geld dafür. Ich soll das Fleisch essen, damit ich Kraft bekomme und im entscheidenden Moment lospreschen kann und gewinne. Dabei mag ich gar kein Fleisch. Trotzdem muss ich es nehmen und essen, und dieses blutige riesige Stück Rindfleisch ist schwabbelig und tropft, und ich muss damit schnell nach Hause und es in den Kühlschrank legen. Dabei wollte ich eigentlich ein bisschen rumlaufen und mit jemandem quatschen oder ein Eis essen. Eis mag ich nämlich am liebsten.
Aber, und das kommt dazu, die Verkäuferin in der Eisdiele verkauft mir keins, weil sie die Anweisung hat, mir nur Montagnachmittag eins zu geben, und dann auch nur Fruchteis. Dabei finde ich Fruchteis völlig bescheuert, richtiges Eis ist Schokolade und Vanille mit Schlagsahne und Krokant. Und Haselnuss.
Auf der Straße sind außerdem immer viele alte Leute, die aufpassen, ob ich was um den Hals trage, damit ich mir keine Erkältung hole. Auf der Piazza treffen sich die Jungs und Mädchen und unterhalten sich, ich dagegen muss mit den Alten rumstehen, die mir die Jacke zuknöpfen und meine Beine begrabschen und sagen, ich soll nach Hause, um meine Kräfte zu schonen.
Vielleicht sind deswegen die Dinosaurier ausgestorben. Ich war zwar nicht mit im Park von Peccioli, aber meiner Meinung nach sind sie ausgestorben, weil jeder von ihnen das Kommando führen und den anderen Vorschriften machen wollte, wie sie sich zu verhalten haben. Deshalb bekamen sie Streit und waren böse aufeinander und hassten sich, und als dann die Katastrophe kam, die sie ausgelöscht hat, ein Vulkan, ein Komet, eine Eiszeit oder eine Sintflut, haben sie es nicht geschafft, sich zu organisieren, und sind alle umgekommen.
Ich habe zwar jetzt den Bogen zum Thema geschlagen, aber bitte, Frau Lehrerin, meinen Sie es nicht zu gut mit mir und geben Sie mir keine tolle Note, weil mich sonst meine Mitschüler noch mehr hassen. Diesen letzten Abschnitt könnte ich
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