Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
habe ganze Nachmittage lang gebüffelt, und meine Mutter musste mich abfragen, denn wenn ich den Stoff nicht wiederhole, kann ich ihn mir nicht merken. Ich wiederholte ihn auch vor ihrer Freundin Rosanna, die ein harter Brocken ist, und wenn die mich verstand, konnte ich sicher sein, dass ich es gut erklärt hatte.
Aber meine Mutter ist nicht mehr da, und wenn Rosanna mich sieht, umarmt sie mich und fängt an zu weinen, und mit einer Heulsuse den Lernstoff zu wiederholen ist nicht gerade das Gelbe vom Ei. Damit will ich nicht sagen, dass es daran liegt, wenn ich jetzt in der Schule nichts mehr bringe. Nein. Aber … na ja, irgendwie doch.
Könnte aber auch sein, dass ich eines Morgens aufgewacht und dumm geworden bin. So was gibt’s. Wie Gewehrschüsse im Dunkeln, aus heiterem Himmel, urplötzlich.
Oder wie dieser Zungenkuss und diese Umarmung und ihr Atem, der warm war und gut roch, einfach nach Atem. Das ist das Einzige, was mir im Nachhinein die Gewissheit gibt, dass es wirklich passiert ist. Sonst könnte es auch eine dieser Sexgeschichten sein, wie sie meine Kumpels erzählen, die sie von jemandem gehört haben, der sich das alles nur ausgedacht hat.
Ich kann nicht einschlafen. Ich drehe mich auf die andere Seite, und die Pritsche quietscht, und ich muss an diese Geschichte denken und kann mir nicht vorstellen, dass es nach diesem Kuss irgendwie weitergeht. Ich war ein Dummkopf, mir das einzubilden, ich war ein Dummkopf, es überall herumzuerzählen, und ich bin ein Dummkopf, weil ich jetzt feststelle, dass in irgendeinem verborgenen Winkel in meinem Kopf immer noch ein Fünkchen Hoffnung brennt.
Ich wälze mich auf die andere Seite. Aber es hat keinen Sinn. Ich setze mich auf, knipse die Neonlampe an und suche mir was zum Lesen.
Im Laden liegen ein Katalog für Angelzubehör und etliche Zeitschriften, aber die kenne ich längst alle. »Der Angelfreund«, »Fisch und Fang«, »Karpfenfischen leicht gemacht« …
Und dann entdecke ich auf dem Ladentisch die Blätter des kleinen Champions. Die Schulaufsätze von diesem Bürschchen.
Ich werd mal eine Seite lesen, entweder schlafe ich dann sofort ein, oder ich hab was zu lachen. Ich nehme sie mit ins Bett. Die Würmer machen einen Mordskrach, so laut waren sie noch nie. Als wären es keine Angelwürmer, sondern Klapperschlangen.
Es sind an die zwanzig doppelseitige Schulaufgabenblätter mit jeweils einem Aufsatz, nach Datum geordnet, angefangen mit Januar, als er nach Muglione kam. Die Handschrift ist gut lesbar, manche Wörter sind in Kursivschrift, andere in Blockbuchstaben, alles wild durcheinander.
Ich nehme mir den ersten Aufsatz vor, der von einem Besuch im Dinosaurierpark von Peccioli handelt. Wenn ich darüber nicht einschlafe, kann ich die Nacht vergessen.
Ich fange an.
Und kann bis zum Morgengrauen nicht mehr aufhören.
D’ANNUNZIO DREAMING
Es ist heiß, sehr heiß, aber hier ist es schattig, die Kronen der Pinien schirmen den Himmel ab und rauschen sanft in der aufkommenden Brise. Die Sonne, die soeben noch hier und da durch die Zweige schien, wird von aufziehenden Wolken verdrängt, und auch die Luft riecht jetzt anders.
»Ich fürchte, es regnet gleich«, wispert sie. Sie trägt einen blütenweißen Schleier, der im Rhythmus ihrer nackten Füße mitschwingt.
»Nicht doch, Liebste, sorge dich nicht. Es ist nur eine Wolke, die vorüberzieht und schnell entschwindet. Komm, wir wollen nicht zaudern.«
Das Rauschen der Pinien wird immer stärker, es breitet sich aus wie ein Klangteppich, in dem bald einzelne Regentropfen Akzente setzen.
»Da … Seher, ich wage es nicht, Euch zu widersprechen, aber ich habe einen Tropfen gespürt.«
»Ach, das sind nur ein paar edle Perlen, die der Himmel schickt, um dich zu erfrischen, oh Hermione.«
»Es wird wohl so sein, wie Ihr sagt. Aber ich bitte Euch, lasst uns nicht weiter vordringen, die nackten Füße waren keine gute Idee, ich habe mich schon zweimal gestochen.«
»Keine Sorge, Liebste, die gesamte Natur erklingt, um dir zu huldigen. Hörst du nicht? Es grüßen dich die Tamarisken, die Myrten, die Ginster- und Wacholderbüsche …«
»Au!«
»Was ist geschehen, du Holde?«
»Ich hab mich schon wieder gestochen. Ein Dorn.«
»Lass mich ihn herausziehen, ich bitte dich.«
»Nein, nein, es ist besser, wir kehren um.« Die Frau bleibt stehen, das weiche Haar umspielt ihre Schultern, während immer dichtere Regentropfen ihre Wangen benetzen. Das Herz schlägt ungestüm in ihrer
Weitere Kostenlose Bücher