Fischer, wie tief ist das Wasser
ein wenig neigten, doch es war sinnlos. Langsam füllte eine erstickende Hitze den Raum und aus den einzelnen Flammen war ein großes, mächtiges Feuer geworden. Gesa nahm die Feile und schlug wie eine Wahnsinnige auf die Bretter ein. Ein winziges Stück brach heraus. Sie stemmte ihren ganzen Körper gegen das Hindernis und schob mit aller Kraft. Wieder ein Stück, dieses Mal ein größeres. Der Schweiß tropfte ihr in die Augen, doch sie wischte ihn nicht fort, sondern nutzte ihre Hände lieber dafür, die restlichen Stücke mit aller Gewalt aus der Wand zu reißen.
«Papa, Feuer! Papa!!» Gesa erkannte trotz der Panik die Schreie ihrer Schwester. «Papa, die Gesa ist da drin, komm schnell!»
Endlich rissen sich die letzten Fasern vom Rest der Wand los und gaben ein Loch frei, das wirklich winzig war. Doch Gesa war mager, sie drückte den Oberkörper schnell hindurch unddie Splitter des Holzes kratzten ihren Leib blutig. Nun hing sie mit den Armen in der Luft und die Beine waren noch im Raum. Die Hitze an den Sohlen brannte bereits so schmerzhaft, dass sich Gesa auf die Lippen biss, um sich nicht zu verraten. Sie musste sich fallen lassen, einen Meter stürzte sie in die Tiefe, die Arme schützend ausgestreckt, die Beine ratschten schutzlos über die scharfen, ausgerissenen Kanten im Holz. Doch dann war sie frei. Jeder Knochen tat weh und die Risse in der Haut schmerzten fürchterlich. Sie hörte das Feuer im anderen Raum, es knackte und stöhnte schon, aber sie war in Sicherheit.
«Was ist los?», schrie ihr Vater nur ein paar Meter entfernt.
«Papa, die Gesa ist da noch drin, mach endlich die Tür auf, du hast den Schlüssel!»
Er konnte sie nicht sehen, doch sie sah ihn und erkannte in seinem Gesicht alle Gefühle: Wut, Ungläubigkeit, Panik. «Jungs, holt den Schlauch», brüllte er. «Wehe, wenn meine Bude abgefackelt wird! Wehe dir, Gesa Boomgarden, wenn du meinen Hof zerstörst.»
Gesa schob sich an der Scheunenwand entlang bis zu einer kleinen Luke, aus der man eigentlich die Schweine auf das Feld hinaustrieb.
«Dann bringe ich dich um!», schrie der Vater, als Gesa sich in die Freiheit hinter der Scheune schob.
«Hörst du, ich bringe dich um!», schrie der Vater.
Doch da wurde Gesa bereits von den mannshohen Gräsern des Maisfeldes verschluckt. Sie rannte, rannte, rannte.
Der Schein des Feuers flackerte warm auf unseren Gesichtern. Die Kinder saßen etwas abseits auf den aufgebauten Bierzeltbänken und aßen mit großem Appetit. Ihnen waren die Flammen zu warm geworden, immerhin strahlte die orange Abendsonnezusätzlich auf uns hinab und wir waren beinahe genauso gar wie unsere Kartoffeln.
Nur wir Erwachsenen saßen immer noch im Kreis und die anderen unterhielten sich, ich weiß nicht, worüber, ich hörte nicht hin. Ich schaute nur hin und wieder zu Sjard hinüber, wie er lachte, das Bier aus der Flasche trank und die rußigen Hände an der hellen Hose abwischte.
Mir kam das Telefonat mit Ben in den Sinn. Ich hatte ihm von meinem Fund im Archivkeller erzählt und von Dr. Schewes panischer Reaktion auf meine vermeintlichen Gerüchte. Er hatte nicht viel dazu gesagt, nur hin und wieder gebrummt, bis ich den Namen «inPharm AG» ausgesprochen hatte.
«Bist du sicher? ‹inPharm AG›?», hatte er nachgehakt.
«Ja», hatte ich versichert und auch gleich den Namen von Professor Birger Isken ins Spiel gebracht. «Weißt du etwas über diese Firma?»
«Und ob», hatte er geantwortet. «Sie haben vor einigen Jahren ein Medikament auf den Markt gebracht, mit dem konzentrationsschwache Kinder ruhig gestellt werden konnten. Damit es mit dem Lernen besser klappt. Das Präparat wirkt auf das Nervenzentrum der Kinder und funktioniert ähnlich wie Kokain.»
«Dieses Produkt war sicher ein Flop! Wer gibt so etwas seinem eigenen Kind?», hatte ich ergänzen wollen.
«Ein Flop für ‹inPharm›, ja, aber nur, weil ein amerikanischer Pharmakonzern ihnen einige Monate zuvorgekommen war. Sie brachten ein anderes Medikament auf den Markt und haben durch ihren zeitlichen Vorsprung natürlich die Forschungen von ‹inPharm› nutzlos gemacht. Das Medikament ist ein Renner, du hast doch sicher schon in der Zeitung darüber gelesen. Die Eltern laufen den Kinderärzten die Türen ein, um das Mittel verschrieben zu bekommen.»
Ich hatte nicht glauben können, dass es so viele Eltern gab, die ihr Kind derart manipulierten, dass sie von Zappelphilippen zu Musterknaben oder Mustermädchen mutierten. Doch ich
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