Fischer, wie tief ist das Wasser
heruntergebrannten Windlicht und dem Du angelangt und es war weit später als zehn Uhr.
Wir hatten, nachdem sie mir ein Gästebett bezogen hatte, viel geredet. Erst erzählte sie. Nicht verbittert, doch es war eine traurige Geschichte, in der sie erst sechzehn und in der Lehre zur Bürokauffrau war, das erste Mal allein auf dem Festland und nur am Wochenende nach Hause zur verwitweten Mutter fuhr. Und dann dieses Geständnis, dass sie schwanger war von einem verheirateten Mann, der nicht im Traum daran dachte, die Vaterschaft anzuerkennen, jedoch gut und gern dafür zahlte, dass sein Name aus dem Spiel blieb. Malin wusste auch, dass Henk diese Geschichte hasste. Er hielt seinen Vater für ein Schwein und seine Mutter für ein Dummchen, und er war das ungewollte Kind. Keine schöne Sache. Malin Andreesen erzählte, wie sehr sie ihre Mutter geliebt habe und wie dankbar sie ihr sei, dass sie ihr das Kind damals abgenommen habe. Eine abgeschlossene Berufsausbildung, ein Job in der Chefetage von «LoodenBau» und dann endlich der Weg in die richtige Richtung, als sie mehr zufällig einen Volkshochschulkurs belegte, in dem es um die Heilkraft von Edelsteinen ging. Kursleiter warihr jetziger Arbeitgeber, der einen Esoterikladen in der Bahnhofstraße hatte. Jetzt sei sie mit allem im Reinen, außer dass ihre Mutter verstorben sei, doch erst dadurch habe sie sich auch befreit genug gefühlt, den Jungen zu sich zu nehmen, und es klappe ja auch eigentlich sehr gut. Ich begann, Malin Andreesen zu verstehen.
Auch wenn sie eine merkwürdige Erscheinung war und mir viele ihrer Seiten fremd erschienen, begann ich sie zu mögen. Es tat gut, über die letzten Wochen zu reden, sich jemandem anzuvertrauen. Malin Andreesen rauchte ziemlich viel, schenkte Wein nach und hörte zu.
Ich heulte sogar ein bisschen, als ich von Sjard erzählte. Sie holte mir einen Zeitungsartikel, in dem von einem vermutlich tödlichen Bootsunfall die Rede war.
«Als ich das hier heute Morgen gelesen habe, da musste ich an dich denken, Okka. Und an die Probleme, die du bei Liekedeler hast. Und auch wenn es dir wehtut: Ich habe auch gedacht, dass Dr. Schewe es bestimmt lieber gesehen hätte, wenn du die Sache nicht überlebt hättest.» Sie schaute mich nachdenklich an.
«Du meinst auch, ich sehe keine Gespenster, wenn ich mir da meine Gedanken mache?»
«Okka, sind es nicht mehr als nur Gedanken und Vermutungen? Du erzählst mir von der vertuschten Todesursache des kleinen Mädchens, du hast die Kinder bei ihren gewalttätigen Spielen beobachtet, die kleine Gesa wird sogar aus der Klinik entführt, damit sie nicht untersucht werden kann.» Sie machte eine kleine Pause und zog heftig an ihrer Zigarette. «Und es gibt da einen Medikamentenhersteller, der sich mehr als üblich für die Liekedeler-Sache einsetzt. Das sind Fakten, Okka. Keine Vermutungen. Sie stellen dort irgendetwas mit unseren Kindernan.» Wieder rauchte sie und starrte dabei wie gebannt auf die flackernde Kerze. «Es würde auch erklären, warum Henk so seltsam geworden ist.»
Ich lehnte mich zurück. «Mein Gott, tut das gut, diese Worte zu hören. Aber ich kann mir immer noch nicht erklären, wie sie den Kindern das Zeug, was auch immer es ist, verabreichen. Ich hätte doch etwas merken müssen.»
«Sie mischen uns etwas ins Essen.» Es war Henk, er stand vor uns wie ein Nachtgespenst und hatte unserem Gespräch allem Anschein nach gelauscht.
«Henk, was sagst du da?», fragte Malin und ging zu ihm hin, umarmte ihn in ihrem sommergelben Umhang. «Was sollen sie getan haben?»
«Die machen uns etwas ins Essen», wiederholte er mit einer solchen Gelassenheit, als handele es sich bei dem «Etwas» um Zucker und Zimt. «Überleg doch mal: Man durfte nie fehlen beim Essen, wenn man hinterher am Unterricht nicht mehr teilnehmen konnte, dann war es okay, doch das gemeinsame Mittagessen war Pflicht.» Er stand in seinem verwaschenen T-Shirt und mit nackten Füßen auf der Schwelle zwischen Haus und Garten und wippte kaum merklich hin und her. Seine Mutter versuchte, ihn an der Hand zu nehmen und zu unserer Sitzecke hinüberzuziehen, doch er ließ die Finger seiner Mutter los und dachte angestrengt nach.
«Es schmeckt fast nach nichts, irgendwie ein bisschen nach Senf vielleicht, und es ist unsichtbar.»
«Und warum glaubst du, dass es … dass es tatsächlich da war? Im Essen?»
«Wenn man vom Essen aufstand, funktionierte das Denken, als wäre es geölt worden.»
«Nee, das kann
Weitere Kostenlose Bücher