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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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den Mann mit einer Minidisc in der Hand die Treppe im Flur hinaufkommen sah. Sie öffnete die Tür weiter.
    Oben angekommen, blickte er sie erstaunt an, so als könne er gar nicht glauben, dass sie auch ein Privatleben hatte und nachts die strengen, unbequemen Kostüme ablegte. «Es tut mir Leid, dass ich Sie so spät am Abend störe, aber das hier», er hielt die viereckige Plastikhülle hoch, «das hier sollten Sie sich unbedingt sofort anhören.»
    Bemüht geduldig griff sie nach der CD und sagte: «Ich danke Ihnen.»
    Der Kerl nickte zufrieden und blieb noch einen Moment vor der Tür stehen. Sie überlegte kurz, ihn hereinzulassen, er sah so frisch aus, obwohl er bereits seit dem frühen Nachmittag ununterbrochen den Telefongesprächen aus dem Haus in der Westerstraße gelauscht hatte. Veronika Schewe mochte Männer dieser Art, sein jungenhaftes Auftreten erinnerte sie ein wenig an Sjard. Doch dann erinnerte sie sich an den Mann in ihrem Bett, dessen Körper sie schon seit Jahren kannte. Sie schloss die Tür, ohne noch ein Wort zu sagen, hörte den Techniker nach kurzem Zögern die Treppenstufen hinunterhüpfen.
    «Was ist denn los?», rief Birger aus dem Schlafzimmer.
    «Nichts!», log sie, denn sie wollte lieber allein sein. Es war besser, wenn sie zuerst wusste, worum es ging. Birger war unerträglich ungeduldig und aufbrausend. Als sie an der offenen Schlafzimmertür vorbeiging, sah sie ihn schläfrig in ihren Kissen liegen. Erleichtert ging sie leise in den kleinen Wintergarten, in dem sie ihr privates Büro eingerichtet hatte. Ein Blick auf den alten Norder Hafen, wo auf spiegelglattem Wasser ruhigdie kleinen Holzschiffe lagen, das Glas kaltes Mineralwasser in der Hand, dann stellte sie den C D-Player an.
    Ja! Okka hatte ihren Vater angerufen, sie war also nicht umsonst gewesen, diese aufwendige Abhöraktion. Okka Leverenz war auf Juist. An alles hatte Veronika Schewe gedacht, nur die Idee, dass Okka zu Malin Andreesen hätte fliehen können, war ihr nie gekommen.
    Das Gespräch war befriedigend, Okka Leverenz hatte Angst, dass war nicht zu überhören, und sie war auch naiv genug, um am Telefon mit ihrem Vater darüber zu plaudern. Es zeigte, dass diese Person keine wirkliche Vorstellung hatte, auf wen sie sich einließ. Eine Lektion wollten sie ihnen erteilen?
    Nur zu! Dann legten sie sich mit einer Firma an, für die bei diesem Projekt alles auf dem Spiel stand. Ruhm oder Pleite sozusagen. Und das galt nicht nur für sie und Birger, allein an der direkten Produktion und Forschung waren mehr als dreißig hoch dotierte Wissenschaftler beteiligt. Ganz zu schweigen von den vielen Ärzten, Psychologen und Pädagogen, die das Experiment schon seit Jahren verfolgten. Es ging wirklich um alles.
    Und alles hätte so reibungslos verlaufen können, bislang hatte niemand etwas herausgefunden. Und nun, kurz bevor es ihnen gelingen sollte, mit Rytephamol-B einen durchschlagenden Erfolg im Bereich der Gehirnforschung zu erlangen, kurz bevor es endlich jedem Menschen möglich sein sollte, das Beste aus seinem Kopf herauszuholen, kurz bevor es endlich gelingen könnte, den Intelligenzquotienten eines Kindes gezielt zu manipulieren, nun kommt eine viel zu gute, viel zu naive Okka Leverenz daher und bringt die jahrelange Arbeit von so vielen beteiligten Kindern und Erwachsenen in Gefahr.
    Veronika Schewe wusste, dass Birger toben würde, wenn er von dem Gespräch erfuhr. Er hatte sich verändert, manchmalglaubte Veronika Schewe, dass er immer aufbrausender wurde, je näher er seinem Ziel kam. Seine Drohung am Nachmittag, als er sagte, sie müssten alle weg, Veronika Schewe wusste, dass diese Drohung nicht nur im Eifer des Gefechts ausgesprochen worden war. Professor Birger Isken war bereit, für seine Vision über Leichen zu gehen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
    Es musste ihr gelingen, hier und jetzt eine Lösung zu finden, die sie ihm dann präsentieren konnte. Schließlich hatte sie selbst es vermasselt. An dem Tag, an dem sie bei Familie Leverenz anrief und ihrem Vater mitteilte, dass man sich für Okka entschieden hatte, da hatte sie es vermasselt.
    Es gab noch eine Möglichkeit, ja, als ihr dieser Gedanke beinahe beiläufig in den Sinn kam, schreckte Veronika Schewe kurz hoch und verfolgte die angefangene Idee: Okka Leverenz meinte zu wissen, mit wem sie es zu tun hatte.
    Doch es gab jemanden, zu dem sie mit Sicherheit Vertrauen fassen könnte. Jemand, der ihr, Veronika Schewe, noch einen Gefallen schuldig war.

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