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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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ungewisse Warterei, und deshalb fragte Gesa, stellte dumme und intelligente Fragen. Andauernd.
    »Wo sind wir hier?» Eine Frage, von der sie nicht erwartete, dass sie beantwortet werden würde, ebenso wie: «Was wollt ihr von mir?» – «Kenne ich euch?»
    Wenn überhaupt, dann reagierte der eine von ihnen mit einem verächtlichen Schnauben. Anders war es, wenn Gesa zeigte, dass sie kein kleines Kind mehr war, sondern genau wusste, worum es ging. Vor einigen Stunden, es war beim Füttern gewesen, der Stille schob ihr etwas Warmes in den Mund, das nach Linseneintopf schmeckte, da flüsterte sie zwischen zwei Löffeln: «Weißt du eigentlich, wie sich mein Kopf in der Dunkelheit anfühlt? Er tut weh, einfach nur weh. Es ist schlimmer, wenn man nichts sehen kann! Weil man nichts zum Ablenken hat. Macht endlich, dass es aufhört! Bitte!»
    Er war zurückgewichen und ein wenig Linseneintopf kleckste auf ihr Nachthemd, suppte sich durch bis auf die Haut.
    «Pass doch auf, du Idiot!», sagte der andere und Gesa hörte Wasser laufen und abermals das Schieben eines Gegenstandes, der im Weg zu stehen schien, dann rieb ihr einer von beiden den Fleck weg und der Laute sagte kurz: «Entschuldigung!»
    «Was wollt ihr mit mir tun?», fragte Gesa in die blinde Stille.
    «Was?», fragte der eine.
    «Warum habt ihr mich mitgenommen?»
    Sie antworteten nicht, natürlich nicht. Stattdessen spürte sie den frischen Hauch hereinwehen, als eine Tür geöffnet wurde, und horchte auf die Schritte der Männer, die hinausgingen. Kurz nahm sie ein Geräusch wahr, das nach Kies klang, auf den schwere Füße aufsetzten, und ein leises Rascheln wie das Fegen des Windes durch hohe Baumkronen war auszumachen. Sie vermutete, dass ihr Gefängnis irgendwo in einem abgelegenen Waldstück lag, es gab Tausende dieser verlassenen Plätze hier in Ostfriesland. Es würde sie keiner finden, wenn überhaupt irgendjemand auf der Suche nach ihr war.
    Sie hatte nicht gedacht, dass Okka Leverenz mit ihnen allen unter einer Decke steckte. Das hätte sie ihr niemals zugetraut.Als sich gestern Abend im Krankenzimmer alles zum Guten zu wenden schien, als sie so etwas wie Vertrauen zu dieser Frau empfunden hatte, da war sogar das letzte bisschen Zweifel verschwunden. Gesa war für ihre zwölf Jahre verdammt hart, es gab nicht viel, was sie noch verletzen konnte, doch dass sie von Okka Leverenz auf solch gemeine Weise betrogen worden war, dass sie ihr vertraut hatte und als Gegenleistung verschleppt und auf ein Bett gefesselt wurde, das tat wirklich weh.
    Sie weinte ein paar Tränen, die heiß und feucht in der Augenbinde versickerten. Gesa hasste sich selbst dafür, dass sie nun schon wieder heulen musste. Sie wollte raus. Sie wollte nicht mehr gefangen und blind sein und ungerecht behandelt. Und sie war bereit, alles dafür zu tun.
    Die Männer kamen wieder herein. Der Stille setzte sich an ihr Bett und legte ihr ein längliches, geschmeidiges Ding aus Plastik in die Hand. Sie ertastete schnell, dass es sich um ein Handy handelte. Endlich! Endlich passierte etwas.
    «Pass auf, Kleine», sagte der andere, er musste nach Gesas Gehör noch immer in Richtung Tür stehen, seine Stimme klang etwas angespannt und um Geduld bemüht. «Wir wählen jetzt eine Nummer und du musst dich dann melden. Mit deinem vollen Namen. Sag bitte am Telefon, dass es dir gut geht und dass sich daran auch nichts ändern wird, solange über gewisse Dinge die Klappe gehalten wird und diese neugierigen Nachforschungen über die Stiftung eingestellt werden.»
    Gesa sagte nichts, sie ließ den Stillen wählen, lauschte dem hohen Piepen von zwölf Ziffern, bevor sie den Hörer an das Ohr hielt. In dem Augenblick, als das Freizeichen schon ertönte und sich ihre ganze angespannte Aufmerksamkeit auf die Frage stürzte, wer sich wohl am anderen Ende melden würde, in diesem Augenblick setzte sich ein Geruch in ihrer Nase fest, einvertrauter Geruch, ein männliches Parfüm, welches sie kannte, welches sie liebte. Es erinnerte Gesa an eine Zeit, als sie noch im Mittelpunkt stand, als Sjard Dieken beinahe jeden Tag mit ihr zum Kinderpsychiater gefahren war, um die verschiedensten Tests mit ihr zu machen. Und alle hatten damals gestaunt, wie schlau sie war. Es war eine wunderschöne Zeit, die sie nun in diesem Geruch wieder gefunden hatte.
    «Sjard?», fragte sie zwischen zwei Freizeichen.
     
    Malin Andreesen und ich saßen im Garten, wir waren bereits bei der zweiten Flasche Rotwein, einem fast

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