Fischland Mord - Küsten-Krimi
könnte. Und welchen Grund sollte Thun gehabt haben, den Zettel mitzunehmen, wenn die Angaben darauf sowieso
falsch waren?«
»Wer weiß? Vielleicht hatte er versehentlich was
Korrektes draufgeschrieben, in alter Gewohnheit –
seine Adresse oder Telefonnummer. Das ist ihm später aufgefallen,
und er hat den Zettel entsorgt.«
»Ich hätte die Daten längst im PC abgespeichert haben können. Seine Aktion wäre völlig umsonst gewesen.«
»Er musste eben nehmen, was er kriegen konnte.« Jonas zuckte mit den
Schultern. »Vielleicht hat er ja sogar in deinem PC nachgesehen, oder hast du den mit einem Passwort versehen?«
»Ich hab nicht angenommen, dass das nötig ist bei einem kleinen
Pensionsbetrieb wie meinem.«
»Na also.« Er biss sich auf die Unterlippe. »Lass uns
überlegen, was wir als Nächstes tun.«
Kassandra gähnte verhalten. »Ins Bett gehen? Heute
Nacht werden wir kaum mehr was Überwältigendes
rausfinden. Und ich muss in drei Stunden wieder aufstehen.«
»In deins oder meins?«, fragte Jonas vollkommen ernst.
»Wie bitte?«
»War ein Scherz«, sagte er lachend. »Du hast recht, lass uns morgen
einen Schlachtplan entwerfen. Falls das dann noch aktuell sein sollte.
Womöglich ist ja die Kripo schon weitergekommen, und alles löst sich für dich
in Wohlgefallen auf.«
»Schön wär’s.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Jonas?
Warum tust du das? Warum hilfst du mir?«
»Damit du die echte Wustrower Nachbarschaftshilfe am
eigenen Leib erfährst. Wir halten hier nämlich zusammen, musst du
wissen. Die meisten wenigstens.«
»Aber ich gehöre nicht zu euch.«
»Wer sagt das denn?« Er zwinkerte ihr zu. »Gute Nacht.«
4
Am Morgen erwachte Kassandra wie gerädert, trotzdem fühlte sie sich
gut. Sie dachte an die vergangene Nacht und wie erleichternd es war, zumindest
vor Jonas nicht mehr Versteck spielen zu müssen.
Als sie bei ihrem Frühstück, bestehend aus einem Cappuccino und einer Scheibe Honigbrot, saß, steckte Jonas den Kopf zum Fenster
rein. »Morgen! Gut geschlafen?«
»Zu wenig«, erwiderte Kassandra lächelnd. »Aber sonst
prima, danke.«
»Das ist schön. Ich muss jetzt los, hab vor der Ladenöffnung ein
paar Sachen zu erledigen und am Nachmittag drei Zeesbootfahrten. Sehen wir uns
heute Abend?«
»Wenn du dir zumuten willst, mit einer Verdächtigen in einem
Mordfall gesehen zu werden.«
Jonas lachte. »Aber unbedingt!«
Zwei Stunden später lüftete Kassandra die Gästezimmer.
In der gegenüberliegenden Pension, ebenfalls
ein altes Kapitänshaus, weiß verputzt mit blauen Fenstern und
Rosenranken um die Tür, erledigte die Inhaberin gerade dieselbe Arbeit und
winkte ihr fröhlich zu. Spontan winkte Kassandra zurück. Erst beim Bettenmachen
wunderte sie sich, warum Frau Dahm, mit der sie nie mehr Worte als »Guten Tag«
wechselte, so nett gelächelt hatte – statt sie wie alle anderen gestern
misstrauisch zu beäugen.
Der nette Gruß war Ansporn für Kassandra, sich wieder unter die
Leute zu wagen. Das Wetter war schön wie am vergangenen Tag, und über einen
Schlachtplan nachdenken konnte sie ebenso gut an der See. Aber vielleicht hatte
Jonas ja recht, und sie brauchte keinen mehr. Kurz entschlossen wählte sie die
Nummer auf der Karte, die Menning ihr dagelassen hatte, und hoffte,
dass nicht wieder sein Kollege ans Telefon ging. Sie hatte Glück.
»Es gibt leider nichts Neues, Frau Voß«, sagte Menning freundlich.
»Wir haben bundesweit die Vermisstenmeldungen durchsehen lassen, keine passt
auf Thuns Beschreibung. Immerhin wissen wir inzwischen, wer gestern
bei Ihnen angerufen hat, wenn uns das leider auch nicht
weiterhilft. Mit der Dame hat Thun kürzlich eine Nacht verbracht, nachdem er
ihr in einer Bar in Ribnitz begegnet war, ihr aber wohlweislich nur seinen
falschen Namen und die Telefonnummer seiner Unterkunft genannt. Wir haben in
der Bar nachgefragt, aber da ist es sonnabends immer so voll, dass sich niemand von den Angestellten mehr an Thun erinnern kann.« Menning räusperte
sich. »Wir werden einen Aufruf in den Regionalzeitungen und im
Regionalfernsehen hier und im Berliner Raum starten und hoffen, dass sich
jemand meldet. Außerdem …«
»Ja?«, hakte Kassandra nach, als Menning zögerte.
»Herr Dietrich wird Ihren Exmann aufsuchen. Ich sollte Ihnen das
nicht sagen, aber …«
»Ja. Danke, dass Sie’s trotzdem tun. Es hilft wohl
nichts, wenn ich Ihnen versichere, dass ich
niemanden umgebracht und auch niemanden zu einem Mord
Weitere Kostenlose Bücher