Fischland Mord - Küsten-Krimi
das Telefon auf die
Station, da klingelte es erneut. »Was?«, herrschte sie die Sprechmuschel an.
»Wenn du was über mich wissen willst, geh ins verdammte Zeitungsarchiv.«
»Wenn ich gewusst hätte, wie lohnend das ist, hätte ich
das längst getan, Frau Larsen, um alle zu
warnen«, giftete eine vertraute Stimme, aber nicht die von
Violetta. »Wie können Sie die Stirn haben, sich hier einzunisten und sich als
die Unschuld vom Lande auszugeben? Ich werde persönlich dafür sorgen, dass Sie
keinen einzigen Gast mehr bekommen, verlassen Sie sich darauf. Sie können Ihre
Pension dichtmachen, wenn ich mit Ihnen fertig bin!«
»Nennen Sie mich nicht Frau Larsen, Herr Jung«, zischte Kassandra.
»Ansonsten tun Sie, was Sie für richtig halten.« Wieder knallte sie das Telefon
auf die Station.
Keine fünf Minuten später kam der nächste Anruf, noch bevor
Kassandra sich in der Küche zur Beruhigung einen Tee kochen konnte. Sie
ließ es klingeln. Doch kurz darauf begann auch ihr Handy zu
dudeln.
»Voß«, meldete sie sich müde.
»Hallo, Frau Voß, schön, dass ich Sie doch noch erreiche, Menning am
Apparat.«
Kassandra horchte auf. »Herr Menning? Gibt es Neuigkeiten?« Bitte lass es gute sein, beschwor Kassandra eine unbekannte Macht.
Noch mehr Katastrophen ertrage ich nicht.
»Wie man’s nimmt. Der Besuch meines Kollegen Dietrich in der JVA war leider vergebens.«
»Sie meinen, Sven kannte Thun nicht? Das wäre das, was
ich hören möchte.«
»Kann ich mir denken.« Kassandra glaubte fast, ihn lächeln zu sehen.
»Aber Sie werden sich noch etwas gedulden müssen. Sven Larsen
wurde heute in einer Notoperation der Blinddarm entfernt. Er hat
seine Beschwerden zu spät gemeldet, der Blinddarm war durchgebrochen,
die OP entsprechend schwer. Im Moment liegt
er auf der Intensivstation und kann erst übermorgen befragt werden. Ich fand,
das sollten Sie wissen. Sobald es was Neues gibt, melde ich mich.«
Immerhin ein kleiner Aufschub, dachte Kassandra,
vielleicht genug Zeit, um den Schlachtplan mit Jonas zu
entwickeln. Sie fasste sich an den Kopf. Jonas. Für einen
Moment hatte sie tatsächlich vergessen, dass sie nicht
beabsichtigte, je wieder mit Jonas zu reden.
Der Nachmittag verlief einigermaßen ruhig, das Telefon blieb still,
auch Violetta meldete sich nicht noch mal. Entweder war sie beleidigt, oder sie
hatte anstandshalber ein schlechtes Gewissen.
Um sieben klingelte es an der Haustür, und Kassandra wappnete sich
innerlich. Ungezählte Male hatte sie sich überlegt, was sie Jonas alles
an den Kopf werfen würde. Mit Schwung riss sie die Tür auf.
»Jonas, wie kannst du es wagen, mein Vertrauen dermaßen zu missbrauchen? Wieso
hast du dein Versprechen einfach so gebrochen?« Kassandras Stimme zitterte. Zu
spät bemerkte sie, dass Jonas nicht allein war. Ein Mann
stand neben ihm und schaute prüfend zwischen Kassandra und Jonas
hin und her. Jonas lächelte bloß.
»Welches Versprechen? Ich kann mich nicht erinnern, eins gegeben zu
haben. Dürfen wir reinkommen? Das ist übrigens Paul Freese, ich glaube, ihr
kennt euch noch nicht persönlich.«
Kassandras Blick glitt über den großen Mann Anfang,
Mitte fünfzig, der in Jeans und mit bis zu den Ellbogen aufgerollten Hemdsärmeln
vor ihr stand. Er hatte volles graues Haar und eine auffällig lange Nase im
Gesicht, das man am schmeichelhaftesten als interessant bezeichnen konnte. Sein
Kinn zierte ein Grübchen. Automatisch schüttelte sie den
Kopf. Trotzdem wusste sie, wer Paul Freese war – jeder in Wustrow
kannte ihn, während er selbst noch mehr Leute kannte und alles über das
Fischland wusste, was es zu wissen gab. Warum hatte Jonas ihn mitgebracht? Dann
fiel ihr wieder ein, dass sie wütend auf Jonas war – und dass
leider stimmte, was er sagte. Sie hatte ihn zwar gebeten, ihre
Geschichte für sich zu behalten, aber er war darauf überhaupt nicht
eingegangen.
»Wir können das gern ein andermal …«, hob Paul Freese in das
Schweigen hinein an, halb an Jonas, halb an Kassandra gewandt.
»Unsinn, jetzt bist du hier, jetzt reden wir auch. Kassandra wird
sich schon wieder beruhigen.«
»Würde es dir was ausmachen, nicht von mir zu reden, als wäre ich
gar nicht da? Du hast nichts versprochen, aber –«
»Können wir das drinnen diskutieren?«, unterbrach
Jonas sie. »Weder Paul noch ich legen großen Wert darauf, dass Jung sich einmischt,
und das tut er vermutlich, wenn wir noch lange hier stehen.«
Zögernd trat Kassandra einen Schritt zurück
Weitere Kostenlose Bücher