Fischland Mord - Küsten-Krimi
schmückten
Gemälde von alten Schiffen, und in den Speisekarten waren immer
wieder Faksimiles von uralten Postkarten eingestreut. Kassandra
versuchte jedes Mal, wenn sie hier war, wenigstens eine davon zu entziffern.
Der Abend zuvor war lang gewesen, Kassandra wusste jetzt, dass
Jonas’ Familie seit Generationen in Wustrow lebte. Er war nie verheiratet
gewesen, hatte aber eine dreizehnjährige Tochter, die bei der Mutter in Köln
wohnte und die er nur selten sah. Er bedauerte das sehr, aber sie befand sich
gerade in einer schwierigen Pubertätsphase, in der sie von ihrem Vater nichts
wissen wollte. Seinen Souvenirladen besaß er seit fünfzehn Jahren, und vor
drei Jahren hatte er seinen Traum vom eigenen Zeesboot
verwirklicht.
»Du musst endlich mal mitkommen.« Jonas deutete aus
dem Fenster nach draußen, wo sein Boot hinter einem zweiten in
dem kleinen Hafen vertäut lag.
Auf der gegenüberliegenden Seite lagen einige Motorboote, an den in
den Bodden hineinragenden Stegen Segelboote. Betrieb herrschte hier
nur zu den Abfahrtzeiten der größeren
Fahrgastschiffe oder wenn die Zeesboottouren begannen. Ansonsten
war es beschaulich und still.
»Sollten Sie tun«, bekräftigte Paul Freese. »Auf dem Bodden auf einem echten alten Zeesboot dahinzugleiten, ist ein ganz besonderes
Erlebnis.«
Lachend stimmte Kassandra zu. »Schon gut, überredet.«
Während des Essens sprachen sie über alles Mögliche, nur nicht über
Thun, obwohl Kassandra vor Neugier beinah platzte. Aber wenn Freese
ihretwegen tagsüber nicht zum Essen gekommen war, wollte sie ihm
wenigstens jetzt Ruhe dafür gönnen. Sie selbst gab nach der Hälfte ihres
Salates mit Lachs auf, weil der zwar köstlich, die Portion aber riesig war.
Als die Teller abgeräumt wurden, hob Freese sein Glas
und schaute Kassandra an. »Wenn Sie nichts dagegen haben, sollten
wir das Gesieze lassen. Ich bin Paul.«
»Gerne.« Kassandra war froh, dass er das vorschlug, sie hätte ihn im Laufe des Abends schon ein paarmal fast mit Du angeredet. »Kassandra.«
»Ja«, erwiderte Paul und lächelte, »ich weiß.« Nachdem sie
angestoßen hatten, griff er nach einer Laptoptasche und holte einige Blatt
Papier und eine Broschüre daraus hervor. »Zur Sache. Es hat ein bisschen länger
gedauert, als ich dachte, weil ich heute Morgen einen Termin in Barth hatte und
dementsprechend an der falschen Ecke angefangen habe zu suchen,
nämlich in Zingst. Fündig geworden bin ich
in Ahrenshoop.« Damit schob er die Broschüre zu Jonas und
Kassandra.
»Dritte Ahrenshooper Gemäldeauktion«, las Kassandra
und blätterte durch das zwanzigseitige Heft, in dem sich
Angaben zu den angebotenen Gemälden mit Abbildungen und
geschätztem Wert fanden. »Ich dachte, die gäbe es schon viel länger.«
»Du meinst die Ahrenshooper Kunstauktion, die findet in diesem Sommer das siebenunddreißigste Mal statt. Da waren deine beiden
Kripoleute natürlich, weil die jeder kennt. Die Gemäldeauktion dagegen versucht
erst seit Kurzem, sich zu etablieren.«
»Ziemlich verwirrend, dass die so ähnlich heißen.«
»Absicht. Der Veranstalter verspricht sich von der Namensähnlichkeit, dass die Leute es verwechseln wie du und dass dadurch ein
bisschen vom Glanz der Kunstauktion auf seine Veranstaltung abfällt. Deshalb
ist er auch gar nicht scharf auf einen Skandal.«
»Was für ein Skandal? Ist Thun darin verwickelt?«,
erkundigte sich Jonas.
Paul legte einen Internetausdruck auf den Tisch. »Ist er das?«
Kassandra musste nur einen kurzen Blick auf das Foto des
distinguierten Weißhaarigen in Frack und Fliege werfen, der vor einer modernen
Plastik stand. Kein Zweifel. Das war Thun, obwohl daneben etwas anderes stand:
»Josef Kind, weltweit anerkannter Experte für Kunstfälschungen«.
»Josef Kind.« Kassandra versuchte, den Mann, den sie
als Pensionsgast kennengelernt hatte, mit dem neuen Namen in
Einklang zu bringen. »Experte für Kunstfälschungen zu sein, ist kein
Verbrechen. Warum ist er unter falschem Namen hergekommen?«
»Weil das die Art ist, wie Kind gearbeitet hat. Sehr diskret. Unter
anderem deshalb hat Ralf Peters, der Veranstalter der Gemäldeauktion, ihn
beauftragt. Niemand sollte wissen, dass Kind hier war, und wäre er nicht
ermordet worden, hätte das geklappt. Ich vermute, dass Kind von der Existenz
dieses Fotos nichts geahnt hat, sonst hätte er den Betreiber der
Website vermutlich verklagt. Die Öffentlichkeit sollte nichts
über ihn wissen, weil er seinen Job auf diese Weise am
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