Fischland Mord - Küsten-Krimi
durch Kinds verunstaltende Zeichnung auf dem Foto nicht hatte erkennen können, und schien alle um ihn
herum wahrzunehmen, obwohl er nur mit Gerlinde Meerbusch sprach.
»Hallo, Gerlinde, ich weiß, ich bin knapp dran, entschuldige. Hab
mich verzettelt mit einem anderen Termin.« Mit einer abwesenden Geste strich er
sich die schwarzen Haare aus der Stirn und zwinkerte ihr zu. »Ich hoffe, Tina
ist noch nicht zu ungeduldig geworden.«
Gerlinde Meerbusch zwinkerte zurück. »Ein bisschen. Lass uns lieber
gleich loslegen. Die Vorstellung«, sie deutete auf Kassandra, Jonas und Paul,
»kann warten. Tina nicht.«
Kesting lachte zustimmend und nickte ihnen freundlich zu, bevor er
der Galeristin folgte. Kassandra sah ihm nach und wurde zum zweiten Mal an
einschlägige Romane erinnert, in denen Arnold
Kestings Bewegungen sicher als geschmeidig beschrieben worden
wären.
»Für wen hält der sich denn?«, fragte Jonas. »Mister Umwerfend
2011?«
»Er hat nicht mal ein Wort mit uns gewechselt, wie kannst du jetzt
schon gegen ihn eingenommen sein?«, spöttelte Kassandra.
Während Jonas ein undefinierbares Geräusch von sich
gab, wechselten Paul und Kassandra einen belustigten Blick.
»Antipathie auf den ersten Blick, wenn du mich fragst«, sagte Paul
leise, weil Gerlinde Meerbusch gerade ihre Gäste begrüßte. »Ich wette, Jonas wird
Kesting übernehmen wollen, wenn ihr euch nachher aufteilen müsst, um ihn und
die Bodenstedt auszuspionieren.« Er richtete seine
Aufmerksamkeit wieder auf Gerlinde Meerbusch, die zur Vorstellung
der Künstler übergegangen war.
»Ich freue mich sehr, Ihnen in den nächsten Wochen die Werke der
Bildhauerin Tina Bodenstedt präsentieren zu können. Sie hat an der Rostocker
Technischen Kunstschule Bildhauerei studiert, war während und nach ihrem
Studium Privatschülerin bei Heiner Bertram und hat außerdem zwei Auslandssemester
an der Accademia di Belle Arti in Florenz verbracht. Sie hatte quer
durch Deutschland schon viele eigene Ausstellungen, zuletzt in
Stralsund – und nun bei uns auf dem Fischland.«
Freundlicher Applaus begleitete den letzten Halbsatz, und Tina
Bodenstedt lächelte in die Runde. Im Abendlicht wirkte sie weniger kühl als auf
dem Foto. Kassandra fand, dass Gerlinde Meerbusch, die zwischen Bodenstedt und
Kesting stand, wie eine Art Wall wirkte, die zwei Gegner voneinander
abschirmte. Die beiden Künstler würdigten einander keines Blickes, sie sahen
beide stoisch die Galeristin an, die sich nun Kesting zuwandte.
»Arnold Kesting wird Sie von seiner Vielfältigkeit überzeugen.
Sie werden nicht nur Gemälde von ihm sehen, sondern ebenso Fotografien
und Collagen aus Malerei und Fotografie. Er hat an der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Kunstgeschichte und an der
Kunstakademie Düsseldorf Malerei studiert und kann auf viele erfolgreiche Ausstellungen im In- und Ausland zurückblicken. Umso mehr freue ich mich, dass ich ihn für unsere kleine Kunstscheune gewinnen
konnte.«
Arnold Kesting lachte. »Ich freue mich mindestens
genauso. New York kann ganz schön anstrengend sein.«
Das Publikum lachte mit und applaudierte. Bis auf Jonas. »New York.
Klar, hätte man sich ja denken können«, sagte er und wandte sich an Kassandra.
»Hör mal, den überlass mir. Du übernimmst die Bodenstedt.«
Diesmal war es Paul, der ein undefinierbares Geräusch von sich gab,
während Kassandra lächelnd den Kopf schüttelte. »Prinzipiell ist mir das egal.
Trotzdem bezweifle ich, dass das eine gute Idee ist. Wie willst du ihn neutral
beobachten, wenn du ihn nicht ausstehen kannst? Ganz davon abgesehen, dass man
dir das sofort ansieht. Du wirst Kesting eher vergraulen als was aus
ihm rauskitzeln.«
»Meinst du, du könntest das besser?«, forderte Jonas sie heraus.
Kassandra zuckte mit den Schultern. »Käme auf einen Versuch an. Lass
uns sehen, wie sich der Abend entwickelt.«
Wie aufs Stichwort öffnete Gerlinde Meerbusch in diesem Moment die
Scheune. In dem großen Innenraum, der durch Stellwände und Fachwerk unterteilt
war, sowie in zwei abgetrennten kleinen Räumen standen an exponierten Stellen
Tina Bodenstedts Skulpturen aus Sandstein, Marmor, Holz und Bronze. Die meisten
Plastiken stellten gesichtslose sitzende, liegende oder stehende Figuren dar,
doch es gab auch einige Büsten mit Gesichtern, die unglaublich
ausdrucksvoll waren. Das herausragendste Werk allerdings war ein
überdimensionaler Fisch, dessen bunte Emaille-Schuppen im Licht der
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