Fish im Trüben
dachte daran, die Somers für einen Zwischenbericht anzurufen, beschloß aber, daß ich weder Deans Jämmerlichkeit noch Sharons kaum beherrschte Hysterie ertragen konnte. Aber Sharon, die wie wild an einer Zigarette sog und auf dem Parkett in St. Ives hin und her lief, wollte etwas für ihr Geld haben und rief mich ihrerseits wegen eines Zwischenberichts an. Ich antwortete widerwillig, mit sicher plazierten Vorurteilen und voller >Psychologie heute<-Vorwürfe.
Sie fragte mich aus und fand heraus, daß ich wußte, wo man Kontakt mit Sean aufnehmen konnte, und wollte wissen, warum ich sie nicht informiert hatte. Ich sagte, daß ich mir Sorgen um den Jungen mache und mir noch nicht klar sei, wie man sich ihm nähern solle.
»Glauben Sie etwa, daß Sie das entscheiden, Mr. Fish? Gehen Sie immer so vor? Verschweigen Sie Ihren Klienten immer Informationen?«
Ich sagte, das sei kompliziert und der Junge sei in eine dubiose Sache verwickelt...
»Doch keine Drogen!« unterbrach sie mich, und die Panik in ihrer Stimme machte mir klar, daß ich es ihr sagen mußte. »Nein, er hat mit ein paar Graffitigangs zu tun, wissen Sie, die diese Züge besprühen. Er ist auf eigene Rechnung ins Geschäft eingestiegen, er entwirft Graffiti.«
Ich erwartete Schrecken und Empörung — niemand hört gerne, daß sein Sohn ein Vandale ist — , aber sie war erleichtert. »Gott, das ist alles. Das können wir regeln...«
»Ich denke nicht, daß das so einfach ist, Mrs. Somers. Sie haben da einen sehr unglücklichen, entfremdeten Jungen...«
»Ich glaube, Sie haben mich falsch verstanden«, sagte sie. »Natürlich ist das Graffiti ein Problem. Sean ist ein Problem. Ich weiß das. Aber wenn Sie in meiner Haut stecken würden, dann würden Sie verstehen, was das für eine Erleichterung ist.«
»Erzählen Sie mir, Mrs. Somers, warum ist es eine Erleichterung für Sie, daß Ihr Junge ein Vandale ist, der davon lebt, öffentliches Eigentum zu verunstalten?«
Mein harter Sarkasmus pfiff durch ihren Kopf wie eine Rakete: Sie dachte über irgend etwas nach. »In Ordnung, ich sage es Ihnen. Sean scheint Ihnen am Herzen zu liegen, und vielleicht können Sie besser mit ihm klarkommen, wenn Sie wissen, was alles dahintersteckt. Mr. Fish, wissen Sie viel über das Sydney... Milieu?«
»Sie meinen die Kriminellen?«
»Ja, die Kriminellen.«
»Einige. Ich lebe lange genug in Sydney, um Bescheid zu wissen. Und ich lese den >Sun Herald< und sehe >Aktenzeichen: ungelöst<.«
»Also haben Sie von Noddy Wilson gehört.«
Das hatte ich. Noddy Wilson war ein bösartiger Gangster mit einem Gesicht wie eine Axtklinge und einem Mund wie der Schlitz einer Spardose. Er hatte die moralische Urteilsfähigkeit eines Krokodils. Als Kleinkind hätte er die gute Fee gefoltert und den Weihnachtsmann ausgeraubt. Sein Name war in den Vierzigern und Fünfzigern überall bekannt, als Sydneys Gangs in Nachtclubs und in den Straßen der Elizabeth Bay ihre Schießereien austrugen. Es hieß, er habe ein Vermögen hinterlassen.
Ich wich aus. Sie wollte auf etwas hinaus, aber ich wußte nicht, worauf.
»Mein Mädchenname ist Wilson, Mr. Fish. Ich bin Noddy Wilsons Tochter.«
Das war ein K.-o.-Schlag. Ich kippte um und lag reglos da.
»Weiß Sean das?«
»Natürlich nicht. Ich würde das keinem Kind wünschen. Wissen Sie noch, was Noddy Wilson zugestoßen ist?«
Ich wußte es nicht.
Sharon war schonungslos. »Er starb im Gefängnis. Jemand hat ihn in der Dusche erstochen.«
Das Schweigen zwischen uns wuchs an. Sie hatte Mitleid mit mir und brach es: »Ich war sechzehn.«
»Seans Alter.«
»Seans Alter. Ich weiß, was Sie jetzt von mir denken, Mr. Fish...«
Höllisch schuldbewußt, versuchte ich, sie zu unterbrechen, aber sie hörte mir nicht zu.
»Mit meinem Sohn ist etwas völlig schiefgelaufen, und ich bin bereit zuzugeben, daß es auch meine Schuld ist. Aber mir selbst oder meinem Vater oder dem Schicksal Vorwürfe zu machen, hilft niemandem weiter, ich habe das bitter am eigenen Leib erfahren. Ich will eine Chance, das in Ordnung zu bringen. Wichtig ist, was wir von jetzt an tun.«
»Wenn ich ihn nach Hause bringe, werden Sie ihn also anhören?«
»Ja. Und ich werde ihm geben, was auch immer er verlangt.«
»Was, wenn er weg will?«
Sie hielt inne. Das war der ultimative Test: Lieben und loslassen. »Darüber reden wir, wenn es soweit ist.«
Die Nacht war kalt und mondhell, was schlecht für die Sprayer und gut für uns war. Schwarz gekleidet wie ein
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